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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf
Autoren: Ellen Jacobi
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ins Jenseits zu befördern, statt immer nur …
    Im Fond des Wagens raschelt etwas. Ah, sie hat ihr kleines Nickerchen beendet.
    »Halten Sie irgendwo da vorne an, Wohlfahrt.«
    Wolfhart , zum Kreuzdonnerwetter noch mal!, schreit es in ihm. Keinesfalls WOHLFAHRT! So geht das nun schon seit sechs Wochen, obwohl er sie immer wieder korrigiert. Wohlfahrt! Wie klingt denn das? Nach Essen auf Rädern und Briefmarken. Dass er seinen Namen geändert hat, gibt ihr noch lange kein Recht, ihn zu verballhornen. Außerdem weiß sie ja gar nicht, dass er unter falscher Flagge segelt.
    Er runzelt die Brauen. Oder ahnt sie etwas?
    Nein, unmöglich. Die alte Dame hat ihn als Dr. Wolfhart Herberger und Chauffeur eingestellt. Seine Biografie als ewiger Taxifahrer mit Doktortitel hat sie fraglos akzeptiert. Ist schließlich keine Seltenheit mehr. Sie kann nichts von seiner wahren Identität wissen und schon gar nichts von den Absichten, die er mit dieser albernen Reise verbindet.

2.
    Denk an Pamplona!
    Nelly strafft die Schultern, stürmt die Stufen zum Düsseldorfer Finanzamt hinauf und öffnet beherzt die Schwingtür zum Foyer. Der Pförtner in der Panzerglasloge hebt flüchtig einen Blick von seiner Zeitung. Er trägt eine Brille mit halben Gläsern und sieht aus wie eine verdrossene Eule. Nelly ist technische Übersetzerin für Gebrauchsanweisungen und Montageanleitungen und hält viel auf ihr Talent, selbst Blicke dolmetschen zu können. Der des Pförtners sagt: »Willkommen bei den lebenden Toten.«
    »Ein herrlicher Tag da draußen«, hält sie dagegen. »Kaum zu glauben, dass wir bald September haben.«
    Vergeblich. Dieser Mann ist ein begnadeter Griesgram. Nelly muss es wissen. Sie gibt ihre Steuererklärungen seit über zehn Jahren bei ihm ab. Bislang wortlos, aber heute dient der Kerl als ultimativer Crashtest für ihre gute Laune.
    Wie heißen noch die Puppen, die man dafür benutzt? Egal, der Pförtner ist der Testwagen, der sie und ihre gute Laune mit zweihundertzwanzig Stundenkilometern gegen die Wand fahren soll. Versuchsweise. Und sie ist … Wie zum Teufel heißen die dämlichen Puppen? Ach ja, Dummies. Stopp!
    Nelly legt eine gedankliche Vollbremsung hin. Dummies ist zwar Englisch und wird daher dammies gesprochen, klingt aber nach Idiotin. Und nein, das ist sie nicht! Nicht mehr, nie mehr. Besser sie nennt das Ganze eine Generalprobe. Genau! Ihre gute Laune muss bombenfest sitzen, bevor sie nachher auf Ricarda trifft. Ricarda ist seit Schultagen ihre beste Freundin und hat bislang nur eine vage Ahnung von der dramatischen Wende in Nellys Seelenleben, das jahrelang emotionales Sperrgebiet war. Ricarda wird natürlich alles wissen und analysieren wollen. Dummerweise ist sie nämlich Psychologin. Werbepsychologin, um genau zu sein. Menschen wie ihr kann man nichts vormachen, und Ricarda ist eine der Besten, wenn es darum geht, Menschen unerfüllbare Träume und Teesorten mit Namen wie »Oase des inneren Friedens« oder »Glücksmomente der Liebe« anzudrehen.
    »Mach dir nichts vor, Nelly, die Illusion von Glück im Aufgussbeutel schmeckt den meisten Menschen besser als das anstrengende Bemühen, selbst dafür zu sorgen. Der Tee ist nicht zufällig ein Renner bei Frauen jenseits der vierzig. Sogar du trinkst ihn literweise, während du heimlich irgendwelchen Unsinn über Bestellungen beim Universum liest.«
    Papperlapapp! Nellys Glück hängt längst nicht mehr am Faden eines Teebeutels. Das Universum hat geliefert. Jawohl! Und zwar etwas weit Besseres als Teebeutel. Einen Keller voll spanischem Wein – nicht zum Trinken, sondern um darüber zu schreiben – und zwei Wochen Pamplona! Fürs Erste.
    Ach, Pamplona!
    Da wollte Nelly immer schon einmal hin, unter anderem, um ein Stück des Jakobswegs zu gehen. In Studententagen, um ein Abenteuer zu erleben, und kurz nach ihrer Scheidung, um in den Trümmern ihres Gefühlslebens nach einem verborgenen Bauplan und Sinn zu forschen und der Vergangenheit auf immer den Rücken zu kehren. Auf genau die Weise, die der legendäre Camino seit Jahrhunderten vorgibt: auf dem Hinweg immer dem Westen und damit dem Sonnenuntergang entgegen, um auf dem Rückweg der Sonne, dem Morgen und einer seelischen Wiedergeburt entgegenzulaufen.
    Geklappt hat es mit dem Jakobsweg nie. Aber jetzt darf sie völlig unverhofft zumindest nach Pamplona. Außerdem hat sie jetzt eine Zukunft und muss sich nicht mehr mit Sinnfragen quälen. Wie aus dem Nichts ist die Vergangenheit vorbei und alles Schwere
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