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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot
Autoren: Roland Stark
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Mayfeld ein. Sie griff
selbst nach einem Brettchen und einem Messer und begann zu schneiden. »Etwa
einen Viertelzentimeter dick. Das gibt Kartoffel-Carpaccio mit Trüffelsoße. Was
ist passiert?«
    Mayfeld erzählte ihr von dem neuen Fall. »Kennst du
Dr. Holler?«, fragte er am Ende seines Berichtes.
    Julia hatte mit dem Schnippeln aufgehört. Sie nickte.
»Eine liebe und interessante Kollegin, Psychologin und Jungianerin.«
    »Was ist das, eine Jungianerin?«
    »Jung war neben Freud und Adler einer der Begründer
der Psychoanalyse. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit war das kollektive
Unterbewusste, wie es sich zum Beispiel in Märchen und Mythen zeigt, während
Freuds Interesse stärker auf das persönliche Unterbewusste gerichtet war.«
    »Und die Meinungsunterschiede, die die Gründerväter
vor hundert Jahren hatten, spielen heute noch eine Rolle?«, fragte Mayfeld
skeptisch. Das klang ihm weniger nach einem wissenschaftlichen Streit als nach
einer Glaubensfrage.
    Julia lächelte und hob die Schultern, als wollte sie
sagen, dass es nicht an ihr liege.
    »Mit Märchen hat sich Frau Holler intensiv befasst.«
Mayfeld erwähnte das Plakat im Behandlungsraum und die Bücher im Arbeitszimmer
von Dr. Holler.
    »Ja, sie ist in ihrer Freizeit als Märchenerzählerin
aufgetreten. Und beruflich hat sie Märchen in ihre Therapien mit einbezogen.
Sie lässt die Klienten ausgehend von Motiven aus Märchen imaginieren. Dieses Verfahren,
man kann es sich als eine Art begleiteten Tagtraum vorstellen, soll nach ihren
Erfahrungen eine sehr direkte Brücke ins Unterbewusstsein darstellen.«
    »Ich dachte, eure Patienten erzählen schon von alleine
genug Märchen, und es geht in der Therapie darum, sie zurück auf den Boden der
Tatsachen zu holen.«
    »Natürlich spielt das, was du die objektive Wahrheit
nennen würdest, in der Therapie eine wichtige Rolle. Aber das ist nur die eine
Seite. Was Psychotherapeuten genauso stark interessiert, das ist die subjektive
Wahrheit. Die kann der objektiven Wahrheit sehr ähnlich, sie kann aber auch
ganz weit von ihr entfernt sein.«
    »Aha.«
    »Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern
die Meinungen, die wir von den Dingen haben.«
    »Sagte Epiktet, der griechische Philosoph und
Stoiker.« Mayfeld war es gelungen, seine Frau zu überraschen. »Das steht auf
dem Plakat, das du in deinem Arbeitszimmer aufgehängt hast«, erinnerte er
Julia. »Ich bevorzuge die objektiven Fakten.«
    »Von denen du in diesem Fall noch nicht allzu viele
hast.«
    »Ich habe die bizarr arrangierte Leiche einer
Psychologin. Es kann sein, dass der Täter, um in deinen Worten zu bleiben, uns
etwas über seine Meinung, die er von den Dingen hat, mitteilen will. Ich habe
aber auch Hinweise auf einen Einbruchsdiebstahl. Es kann sein, dass der Täter
mit dem Arrangement unsere Meinung, die wir von den Dingen haben, beeinflussen
will.«
    »Habt ihr Bilder von der ganzen Szene gemacht?«
    »Na klar.«
    »Zeig sie jemandem, der sich mit Märchen auskennt, der
Hollers Arbeitsweise kannte. Er wird dir sagen können, ob da jemand eine
Botschaft hat oder ob es sich um eine Art Ablenkungsmanöver handelt.«
    »Vielleicht sind das nicht die einzigen Alternativen,
verrückte Botschaft oder Ablenkungsmanöver«, gab Mayfeld zu bedenken. Es waren
allerdings die beiden einzigen Alternativen, die ihm momentan einfielen.
»Entweder hängt der Mord mit Hollers Arbeit zusammen, oder jemand will, dass
wir das glauben.«
    »Würde sich ein einfacher Einbrecher die Mühe
machen?«, fragte Julia.
    »Wohl nicht«, gab Mayfeld zu. »Wir haben kaum
Patientenunterlagen in der Praxis gefunden. Ihr Praxiscomputer ist
verschwunden. Es gibt bloß einen USB -Stick.
Hoffentlich finden wir auf dem etwas, das uns weiterbringt, Aufzeichnungen über
die Patienten zum Beispiel.«
    »Datenschutz ist da wohl nicht so wichtig?«, wandte
Julia ein.
    In diesem Moment wurde die Küchentür aufgerissen.
    »Das ist voll peinlich!« Lisa Mayfeld, schwarzer Rock,
schwarzes T-Shirt, schwarz gefärbte Haare und fünfzehn Jahre alt, stürzte
herein und fläzte sich neben ihre Mutter auf einen Stuhl. »Das geht ja wohl gar
nicht.« Sie ließ eine Kaugummiblase zwischen ihren dunkelrot geschminkten
Lippen entstehen und platzen.
    »Wenn du nicht willst, musst du nicht mehr bedienen.
Ab morgen gehst du ja wieder zur Schule«, warf Julia ein.
    »Das meine ich doch nicht«, protestierte Lisa und ließ
ihren Stuhl bedenklich nach hinten kippen. »An die Kinderarbeit
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