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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella
Autoren: Florian Beckerhoff
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fein säuberlich Butter auf dem Graubrot verteilte, anschließend mit Messer und Gabel nach der schwitzenden Scheibe Käse griff und diese akkurat platzierte. Musste er sein Brot jetzt auch mit Messer und Gabel essen? Er starrte wieder auf sein Tablett und griff mit den Fingern nach dem wenigen, das er dort finden konnte. Während er vor sich hin kaute, spürte er, dass sie ihn anstarrte. Er sah auf. War das eine Träne, die sich von ihrem Auge einen Weg über die faltige Wange suchte? Sie schwieg. Er senkte seinen Blick wieder und griff nach einem der beiden altersschwachen Radieschen, das nicht einmal mehr zwischen seinen Zähnen knackte.
    »Schweine sind das.«
    »Entschuldigung?«
    »Schweine, Dreckskerle, Quacksalber, Kurpfuscher! Seit einer Woche dieser Ekelfraß, als könnte ich nicht auch zu Hause auf dem Sofa liegen und mir eine Pizza bestellen!«
    »Was soll ich denn tun?«, flüsterte sie verzweifelt.
    »Unterschreiben und beten.«
    »Meinen Sie wirklich?«
    Was sollte er dazu sagen? Was ging es ihn an, was mit irgendeiner Halbtoten passierte? Er wollte hier einfach raus.
    »Quatsch!«, sagte er.
    »Aber was soll ich denn dann tun?«
    Sie sahen sich gegenseitig ins Auge, sie verzweifelt, er langsam eher frustriert als wütend.
    Er zögerte nur kurz, griff dann nach dem Zettel, legte ihn in die Tischmitte, stieß seine Tasse um. Zum Glück war der Kakao nicht so wässrig, dass er überhaupt keine Spuren hinterließ.
    »Das tut mir aber leid«, sagte er und fragte sich, was er da gerade getan hatte. »Ich werde zusehen, dass die Schwester Ihnen morgen früh einen neuen Zettel bringt.«
    An der Bewegung ihrer Stirnfalten konnte er ablesen, dass sie beide Augenbrauen hob, auch wenn aufgrund des großen weißen Pflasters nur die eine zu sehen war.
    »Vielleicht kommt uns ja heute Nacht eine Idee«, flüsterte sie fast, und er hatte das unangenehme Gefühl, dass er aus dieser Geschichte so leicht nicht wieder herauskommen würde.
    Der Schwester war anzumerken, dass sie eine Verschwörung witterte, als er sich später für sein Missgeschick entschuldigte. Er gab sich jedoch alle Mühe, ihren Verdacht zu zerstreuen, forderte sogar, für die Nacht in ein Einzelzimmer verlegt zu werden. Er erinnerte sich noch gut genug an seinen nachmittäglichen Ärger, um die Rolle des erbosten Patienten glaubhaft spielen zu können. Am Ende war er so überzeugend, dass die Schwester sich noch einmal entschuldigte und nur ihm eine gute Nacht wünschte.
    »Nehmen Sie auch ein Gläschen Klosterfrau?«, hörte er die Alte fragen, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war. Da saß sie und lächelte, während er sich erst einmal wieder zurechtfinden musste. Er hatte sich so in seinen Ärger hineingesteigert, dass er ganz vergessen hatte, dass sich die Situation ganz grundlegend verändert hatte. Er war einen Pakt eingegangen, und jetzt forderte man seinen Beitrag. Nur, was hatte er davon? Resigniert zuckte er mit den Schultern und nickte.
    Sie ging ins Badezimmer, kehrte mit den beiden Zahnputzbechern zurück an den Tisch und schenkte ihnen zwei Fingerbreit Melissengeist ein, den sie aus ihrem Koffer geholt hatte.
    »Prost, und vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte sie ernsthaft.
    »Prost! Würde es Ihnen übrigens etwas ausmachen, mich zu duzen? Ich bin der Sascha.«
    »Prost, Sascha.«
    »Prost, Frau Ella«, sagte er, unfähig, sich an ihren Nachnamen zu erinnern.
    »Frau Ella. So hat mich in den letzten siebenundachtzig Jahren noch niemand genannt.«
    Vielleicht lag es an dem Melissengeist, vielleicht hatte er auch einfach nicht mehr die Kraft, sich über sein Schicksal zu ärgern, vielleicht war er auch bloß froh, seit einer Woche endlich wieder einen Abend in Gesellschaft zu verbringen. Jedenfalls merkte er plötzlich, dass er grinsen musste.
    »Irgendwann ist immer das erste Mal«, sagte er, griff nach der Flasche und gönnte sich noch zwei Fingerbreit von der Klosterfrau, die viel besser schmeckte, als er zu hoffen gewagt hätte.

    Der Klosterfrau war es wohl auch zu verdanken, dass er in der Nacht nichts gegen Frau Ellas Schnarchen unternehmen musste. Als Sascha langsam aufwachte und versuchte, sich in dieser Krankenhauswelt zurechtzufinden, an die er sich nicht gewöhnen konnte, musste er fast lachen über das, was wenige Meter neben ihm vor sich ging. Er war fasziniert, wie ein derart kleiner und magerer Körper solche Geräusche hervorbringen konnte. Wie ein Säugling, nur dass sie schlief, während sie lärmte.
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