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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella
Autoren: Florian Beckerhoff
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als die Alte zurückkam und sich vorsichtig, aber durchaus nicht unbeholfen wieder auf ihr Bett legte.
    »Das war sehr freundlich von Ihnen,« sagte sie.
    »Schon gut.«
    »Bitte?«
    »Was?«
    »Entschuldigen Sie, gelegentlich höre ich ein wenig schlechter als früher. Was sagten Sie?«
    »Schon gut«, sagte er lauter. »Sie würden das ja auch für mich tun, wenn, na ja, wenn ich eher der Ältere wäre.«
    Sie kicherte wie ein Mädchen, hüstelte gleichzeitig wie eine Dame.
    »Na, Sie haben ja lustige Ideen. Was spielen sie denn eigentlich da im Fernsehen?«
    »Irgendein Tierfilm.«
    »Aha. Interessiert Sie das beruflich?«
    Er schwieg, betrachtete die Nilpferde aus der Unterwasserperspektive, wie sie tonnenschwerelos herumpaddelten. Das konnte so nicht weitergehen. So unbefriedigend es war, ohne Brille fernzusehen, er war nicht bereit, dieses Gespräch und ihre dauernden Ahas weiter zu ertragen. Er wollte ein anderes Zimmer. Was fiel denen überhaupt ein, ihm eine Frau, und noch dazu eine solche, zuzumuten? Er war Patient und nicht Sozialarbeiter. Er zahlte seine Krankenkassenbeiträge. Er wollte seine Ruhe. Er würde nicht antworten. Nie wieder.
    Da wurde ihm plötzlich klar, dass das nicht die Stimme des Tierforschers war, die er jetzt hörte, sondern die seiner neuen Nachbarin.
    »Ja, davon hat er immer geträumt, mit Tieren zu arbeiten, aber so eine Anstellung gibt man so schnell ja nicht auf, und dann war er plötzlich tot. Und ich hab ihm noch immer gesagt, Stanislaw, hab ich gesagt, wegen mir kannst du machen, was du willst. Heute wäre das ja etwas anderes. Das ist ja alles längst voll automatisifiziert.«
    Er stöhnte.
    »Ist Ihnen nicht gut? Schmerzt Ihr Auge sehr?«
    »Alles in Ordnung.«
    »Bitte?«
    »Alles in Ordnung«, schrie er.
    »Aha.«
    Eine Herde Zebras trabte gemächlich an den Rand des Wasserlochs. Er schielte vorsichtig zu seiner Nachbarin hinüber, sah, dass sie wieder aufgestanden war und sich daranmachte, den Inhalt ihres Koffers in den Schrank zu räumen. Ein dunkelblauer Stoffkoffer mit gelblichen Streifen, als käme sie aus einer anderen Zeit. Vielleicht war es ja genau das. Er bemerkte zu spät, dass sie sich umwandte und ihn mit ihrem einen Auge dabei ertappte, wie er sie beobachtete. Sie musste seinen Blick gespürt haben, selbst diesen vorsichtig diskreten, einäugigen Augenwinkelblick.
    »Ist Ihre Tiersendung schon aus?«, fragte sie.
    Er schloss sein Auge, so schnell er konnte.
    »Stanislaw hat auch immer gern ferngesehen, nicht tagsüber natürlich, aber abends, wenn er noch wach bleiben musste wegen der Schichten. Tagsüber, hat er
    immer gesagt, tagsüber ist draußen genug zu sehen. Ich habe mir auch hin und wieder ein Programm angesehen, abends die Spielfilme mit all den wunderschönen Frauen, denen so unglaubliche Dinge zustoßen, aber seit ein paar Jahren funktioniert der Kasten nicht mehr. Die vom Fernsehen haben da irgendeine neue Technik, die mein Gerät zerstört hat, aber ich muss ja nachts auch nicht aufbleiben.«
    »Das ist jetzt digitalisiert«, sagte er, ohne nachzudenken.
    »Bitte?«
    »Digitales Fernsehen. Das ist ein neues Sendeformat. Sie brauchen dafür einen neuen Empfänger.«
    Er machte sein Auge auf und sah, wie sie ihn skeptisch musterte.
    »Sie meinen, mein Fernseher ist gar nicht kaputt?«
    »Er ist zu alt. Er versteht die Signale nicht mehr.«
    »Und diese Signale heißen digitalisifiziert?«
    »Digitalisiert.«
    »Und deswegen muss man dann den alten Fernseher wegwerfen?«
    »Nicht ganz. Sie brauchen einen anderen Empfänger für die neuen Signale. Vorausgesetzt, Ihr Fernseher hat den richtigen Anschluss.«
    »Aha. Das sind ja Dinge.«
    Er hörte erleichtert, wie es an der Tür klopfte. Ohne eine Antwort abzuwarten, rauschte eine Schwester samt Rollstuhl ins Zimmer.
    »Ist nur provisorisch wegen Wasserschaden«, nuschelte sie und widmete sich dann ganz seiner neuen Zimmergenossin, die sie zur Voruntersuchung abholte und hierzu mit geübtem Griff in den Rollstuhl beförderte. Die Alte lächelte in seine Richtung, amüsiert und zugleich überrascht.
    »Wenn ich nicht wiederkomme, verständigen Sie die Polizei«, rief sie, schon unterwegs zur Tür. Von wegen, dachte er und musste trotzdem grinsen. Wenn man keinen Fernseher hatte, musste man vielleicht ein bisschen mehr reden, überlegte er. Aber warum ausgerechnet in seinem Zimmer?
    »Hals- und Beinbruch«, murmelte er.
    Die Tür war kaum zugefallen, da griff er sich unter dem ausgeleierten Gummizug
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