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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella
Autoren: Florian Beckerhoff
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seiner Trainingshose hindurch zwischen die Beine und seufzte erleichtert, während sich auf dem Bildschirm eines der Zebras etwas zu weit von seiner Herde entfernt hatte und demnächst in ernsthafte Schwierigkeiten geraten würde. Er kannte den Film, erinnerte sich jedoch nicht daran, ob die Gefahr vom Wasser oder vom Land her drohte. Krokodil oder Löwin? Vielleicht täuschte er sich aber, und das Zebra käme ganz munter davon. Ob ihn das beruflich interessiere? So eine Schreckschraube.
    Seine Bettnachbarin hatte es tatsächlich noch geschafft, vor ihrem Abtransport Decke und Kissen glattzustreichen und ihren Koffer im Schrank unterzubringen. Ihre Schuhe standen gerade so nah aneinander unter der Garderobe, dass sie sich nicht berührten und auch mit der Spitze nicht an die Wand stießen. Darüber hing ihr Mantel, gerade wie ein Kamin. Plötzlich kamen ihm sein Bett und der grässlich gräuliche Turm auf Rollen, der als Nachttisch diente, unaufgeräumt vor, von seinem Schrank ganz zu schweigen. Das fehlte noch, dass irgendwelche Kindheitstraumata hochkamen, nur weil man ihm diese alte Spießerin ins Zimmer legte! So viel Mühe er sich auch gab, das Zebra zu fixieren und irgendwie zumindest eine Erektion zu bekommen, das Gefühl, dass sein Verhalten zu wünschen übrigließ, blieb.
    Schließlich hieb er mit aller Kraft auf die unter ihm liegende Bettdecke ein und stand auf, um aufzuräumen. Als er sich nach seinen Hausschuhen bückte, die unter das Bett gerutscht waren, schoss ihm das Blut ins Auge, ein stechender Schmerz zuckte durch seinen Schädel. Es war überhaupt der erste richtige Schmerz seit seiner Operation. Fluchend griff er nach seinen Hausschuhen und schleuderte sie einen nach dem anderen gegen das Bett seiner Nachbarin, der Frau, die seiner über die letzten Tage mühsam gepflegten Krankenhaus-Zufriedenheit ein Ende bereitet hatte. Er stand ruckartig auf, ignorierte den Schmerz, zerwühlte ihr komplettes Bett, diesen sich strahlend weiß windenden Vorwurf, stürzte zur Garderobe, um ihre vorbildlich gepflegten alten Lederschuhe mit einem Tritt durchs Zimmer zu schießen, griff nach ihrem Mantel, um ihn irgendwie aus seiner aufdringlichen Geradlinigkeit zu bringen, wobei der plötzlich nachgab und er rückwärts gegen die Wand stolperte, sich den Hinterkopf stieß und zu Boden ging. Jetzt ließ sich der Schmerz nicht mehr ignorieren. Er zerfraß die Wut, an deren Stelle pure Verzweiflung blieb.
    Derart geschlagen vor der Zimmertür sitzend, stellte er, kaum hatte der Schmerz etwas nachgelassen, fest, dass der Aufhänger des Mantels gerissen war. Das kleine, stumpf goldene Kettchen baumelte, nur noch an einem Ende befestigt, an der Innenseite des Kragens. Er hätte heulen können, doch so eine Voruntersuchung würde nicht ewig dauern. Das musste er irgendwie wieder hinkriegen, nur würde er hier auf Anhieb kaum Nadel und Faden auftreiben können. Stöhnend raffte er sich auf und hängte den Mantelkragen über den Haken. Nichts mehr hatte der von seiner ursprünglichen Geradlinigkeit. Ein unförmiges Stück Stoff, unterhalb des Kragens zeichnete sich der Knauf des Garderobenhakens ab wie eine krankhafte Beule, ein Geschwür. Natürlich harmonisierte das jetzt wesentlich besser mit seiner Lederjacke, aber darum ging es nicht mehr. Im Kleiderschrank fand er zwei unbehangene Kleiderbügel, denen er schnell seine Jacke und ihren Mantel überzog, um sie dann zurück in den Schrank zu hängen. Ein rotes A und ein blaues B markierten, welches Schrankfach hier wem gehörte. Wie im Kindergarten. Noch einmal musste er vor Schmerz stöhnend auf die Knie, um ihre Schuhe und seine Pantoffeln unter den Betten zusammenzuklauben und ordentlich hinzustellen. Schnell strich er noch Kopfkissen und Decke des Nachbarbetts glatt, brachte den Zahnputzbecher, der ungenutzt auf seinem Nachttisch stand, ins Badezimmer, schob seine Bücher so zusammen, dass sie bündig an der Nachttischkante anschlossen, und ließ sich endlich auf sein Bett fallen. Im Fernsehen spielten Löwenkinder mit den Resten des Zebras.

    »Wegen dieses lächerlichen Auges unter die Erde, das kann ja wohl nicht wahr sein«, hörte er und versuchte, sich in einem Traum zurechtzufinden, der keinen Sinn ergab. Da stellte er fest, dass er wach war. An dem kleinen quadratischen Holztisch, der zu Füßen der beiden Betten an der Wand stand, saß eine alte Frau, in der er nach kurzem Stutzen seine provisorische Zimmergenossin erkannte. Sie las irgendeinen Zettel,
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