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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella
Autoren: Florian Beckerhoff
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Seltsamerweise störte ihn das Schnarchen jetzt nicht mehr. Vielleicht ging es ihm wie jungen Eltern, wenn das Schreien des eigenen Kindes in den Ohren klingt wie sanfte Musik.
    Er war verwirrt und glücklich. Selbst der Himmel über den noch dunklen Bäumen im Park des Krankenhauses strahlte sanft und friedlich in versöhnlichem Rosa. Was er empfand, war das Gegenteil von einem Kater, ein Klosterfrau-Kätzchen, das sanft um seine Schläfen strich. Seit einer Woche wachte er Morgen für Morgen in diesem Zimmer auf, aber erst heute empfand er eine Art Gleichmut gegenüber seinem Schicksal, wenn nicht gar ein bisschen Freude. War er vielleicht noch besoffen? Er wusste ja nicht, wie dieses Gebräu wirkte, welche geheimen Kräfte die heiligen Damen dem Trank einhauchten, wenn sie im Kellergewölbe ihres Klosters um einen großen Bottich tanzten, in dem die heiligen Kräuter vor sich hin köchelten. Jedenfalls ging es ihm gut. So gut wie seit langem nicht mehr. So gut, dass er sich nicht vorstellen konnte, diesen Tag ohne einen Kaffee zu beginnen. Vorsichtig, um Frau Ella nicht zu wecken, die den Raum unbeeindruckt weiter mit ihrer genauso eigenwilligen wie gleichmäßigen Musik beschallte, stand er auf. Dann schlüpfte er in seine Hausschuhe, die er schön parallel und mit der Spitze an der imaginären Verlängerung der Bettkante platziert hatte, nahm seine Sportjacke aus dem Schrank und machte sich auf in Richtung Tür, hinaus in den noch stillen Flur und in die Cafeteria.
    Auch von seinem Tisch an der Fensterfront aus war der Blick auf den morgendlichen Himmel beeindruckend, auf eine sehr natürliche Art und Weise kitschig. Ein schmaler Streifen strahlend hellen Blaus schloss an die noch dunklen Kronen der Bäume an. Gleich darüber lagen, wie der Saum eines Prinzessinnenkleides, fein gemustert rosarote Wölkchen. Immer dunkler werdend, zog sich das zarte Kleidchen über den Himmel. Was für ein Anblick! In Gesellschaft eines Aluminiumkännchens Filterkaffee genoss er die Aussicht, spürte aber jetzt schon, wie ihn der Melissengeist langsam, aber sicher verließ. So langsam, dass er den Anblick des Himmels genoss und sich zugleich für seine Begeisterung schämte. Erst jetzt sah er auch die schwarzen Vögel auf der Scheibe, die ihm mit jedem Schluck Kaffee bedrohlicher erschienen. Er musste hier dringend raus. Er hielt den Himmel für ein Prinzessinnenkleid und fürchtete sich vor aufgeklebten Vögeln. Und das war bei weitem nicht das Schlimmste. Er war sich nicht einmal mehr zu schade dafür, mit einer Oma Klosterfrau zu saufen! Immerhin hatte er ihr nichts von sich erzählt, nicht angefangen, ihr sein Leid zu klagen, sich an ihrem welken Busen auszuheulen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ihn nach einer Weile, in der er immer tiefer Trübsal blies, eine Angestellte, die seinen Kaffee abräumen wollte.
    »Dann wäre ich wohl kaum hier.«
    »Na, so schlimm wird’s schon nicht sein, oder?«, fragte sie.
    »Nur Augenkrebs«, sagte er und freute sich über ihr erschrocken dummes Gesicht.
    »Entschuldigen Sie bitte. Das tut mir leid«, stammelte
    sie.
    »Nichts für ungut. Ist gar nicht so schlimm mit einem Auge.«
    Dann stand er auf und ging. Er fühlte sich schon wieder etwas besser.
    Zurück vor seiner Zimmertür, freute Sascha sich zwar nicht direkt auf die Gesellschaft seiner Bettnachbarin, doch immerhin sah er dem Wiedersehen recht gelassen entgegen. Der Flur war vollkommen ruhig, das ganze Krankenhaus schien noch zu schlafen. Er lauschte, konnte ihr Schnarchen aber nicht hören. Vielleicht war sie ja schon wach. Vorsichtig drückte er die Klinke herunter und betrat das Zimmer.
    »Guten Morgen«, säuselte sie wie blöde grinsend. Bei ihr wirkte der Geist der Melisse anscheinend noch länger als bei ihm.
    »Guten Morgen, Frau Ella«, sagte er, hängte seine Sportjacke in den Schrank, schlüpfte aus seinen Hausschuhen, die er diesmal so in Position brachte, dass er beim nächsten Aufstehen direkt in sie hineinschlüpfen könnte, und ließ sich auf sein Bett fallen.
    »Schauen Sie ruhig Ihre Tiersendung. Mich stören Sie nicht.«
    »Ich lese jetzt erst mal.«
    »Ja, ja.«
    Er versuchte, sich auf sein Buch zu konzentrieren, wunderte sich jedoch zu sehr über die seltsame Verwandlung seiner Bettnachbarin. Das konnte unmöglich an diesen paar Schlücken Alkohol liegen. Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Dümmlich grinsend lag sie da auf dem Rücken und starrte die Decke an.
    »Sagen Sie, Frau Ella«, setzte er
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