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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman
Autoren: Insel Verlag
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Leonora und Gerard in Crookhey Hall aufs Dach gestiegen und konnten ganz Großbritannien sehen. Hier in Hazelwood können sie sich nur fragen, was die drei großen, dunklen Bögen zu bedeuten haben, die nirgendwohin führen.

Miss Penrose
    Diesmal verweigert der Erzbischof von Lancaster seine Hilfe.
    »Ihre Tochter raucht nicht nur«, erklärt er Maurie und Harold, »sie hat auch noch behauptet, die ehrwürdige Mutter hätte eine Warze mit zwei weißen Haaren am Kinn.«
    »Stimmt es denn nicht?«, fragt Harold Carrington.
    »Doch, aber das behält man für sich.«
    »Was machen wir bloß mit dir?« Besorgt schaut Maurie ihre Tochter an. »Dein Vater ist so wütend, dass er im Club einen Schwächeanfall erlitten hat.«
    »Ich will nur eins: malen.«
    »Du bist erst fünfzehn, da ist es nicht an dir, über dein Leben zu entscheiden«, entgegnet Harold Carrington ärgerlich. »Bevor wir dich bei Hofe einführen, werden wir dich nach Florenz schicken, damit Miss Penrose dir Manieren beibringt.«
    Abends betritt Leonora die Bibliothek ihres Vaters.
    »Papa, darf ich dir eine Frage stellen?«
    »Ja, bitte.«
    »Glaubst du an Gott?«
    Harold Carrington schaut seiner Tochter verblüfft in die Augen.
    »Ich habe ihn nie gesehen.«
    Kein Zweifel, ihr Vater ist ein kluger Mann. Warum schickt er sie dann in dieses Kloster? Warum ist er so streng zu ihr? »Eine gute Vorbereitung auf die Ehe ist das Beste für eine Frau«, hört sie ihn eines Abends sagen.
    Ihre Mutter unterstützt und motiviert sie, schenkt ihr einen Kasten mit Ölfarben und Pinseln.
    Leonora glaubt an Erscheinungen, nicht an solche wie die Madonna von Lourdes, sondern an Wesen, die an der nächsten Ecke auftauchen, einem die Hand reichen oder sich auf einen stürzen. Seitdem sie zwei Jahre alt ist, spricht sie beim Aufwachen von ihren Traumvisionen. Gestern zum Beispiel hat sie eine Gestalt gesehen, die langsam über das Dach von Hazelwood lief. Immer weiter, als schon gar kein Dach mehr unter ihren Füßen war. Bestimmt ist sie zu Tode gestürzt. Leonora ist zu ihr gerannt, aber sie hat niemanden entdeckt.
    »Das ist eine Erscheinung«, bestätigt Nanny. »Du hast seherische Fähigkeiten, aber erzähl es lieber niemandem, schon gar nicht deinen Eltern.«
    Leonora ist anders, und niemand versteht sie außer Nanny und Gerard, ihre Verbündeten.
    »Es wird Zeit, dass du dich von Tartar trennst, du bist zu groß, um noch mit einem Schaukelpferd zu spielen«, verlangt der Vater.
    Leonora brüllt.
    »Ich meine es nur gut mit dir, das habe ich dir schon mal gesagt. Außerdem taugt dieses Pferd nur noch als Kaminholz, du hast es völlig abgenutzt.«
    »Nein, Papa, nein! Bitte nicht! Nicht Tartar, alles, was du willst, aber nicht Tartar!«
    »Tartar ist etwas für Kinder. Ich werde ihn eigenhändig verbrennen, bis nichts mehr von ihm übrig bleibt. Herrgott, du musst erwachsen werden, du bist zu groß für dieses Spielzeug.«
    »Das ist kein Spielzeug. Tartar, das bin ich!«
    Leonora kreischt und klappert mit den Zähnen, Harold Carrington hält sich die Ohren zu und ordnet an, das Schaukelpferd zu verbrennen.
    »Gebt ihr eine Tasse Tee«, befiehlt er und verlässt gesenkten Hauptes den Raum. Was ist das bloß für eine Tochter? Wie bringt man sie zur Vernunft? Wie erzieht man eine Wildstute? Ist es denn die Möglichkeit, dass ein Holzpferd ein Mädchen so aus der Fassung bringt?« Das Mädchen wiehert, trampelt, tritt um sich und hat Schaum vor dem Mund.
    Um Mitternacht, matt und von Schüttelfrost gepackt, läuft sie zu Gerard.
    »Ich habe ein grässliches Wiehern gehört, ganz bestimmt kam es von Tartar, sie haben ihn zerstückelt.«
    »Ja, ich habe gesehen, wie Vater mit deinem Schaukelpferd unterm Arm nach oben gegangen ist, und er ist zu den schlimmsten Quälereien fähig.«
    »Tu was, Gerard!«
    »Die Tat ist vollbracht! Tartars Kopf ist gefallen!«
    »Ich werde nie wieder essen, nie wieder trinken.«
    Gerard tröstet sie.
    »Was du im Kopf hast, Prim, das sind nichts weiter als elektrische Wellen, die Kurzschlüsse verursachen.«
     
    Die Schule für Aristokraten in Florenz, an der Piazza Donatello, erzieht zu guten Manieren und Savoir-faire. Die Lehrerinnen, an der Spitze Miss Penrose, bringen den Mädchen bei, wie man sich in Gesellschaft benimmt, wie man eine gute Hausfrau wird, jedem Tischgast seinen ranggemäßen Platz zuweist, eine kluge, geistreiche Unterhaltung mit dem rechten Nachbarn anknüpft, dann mit dem linken, wie man Schluchzer unterdrückt, wie
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