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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman
Autoren: Insel Verlag
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man Hunde abrichtet, ihren Kot beseitigt, der Katze nicht auf den Schwanz tritt. Zwei Sportarten vervollständigen das Erziehungsprogramm: Reiten und Fechten. Leonora, die neben Englisch bereits Französisch spricht, lernt Italienisch und empfindet es staunend als eine wirkliche Bereicherung und Selbsterfahrung.
    »Was tun Sie da, Miss Carrington?«, fragt die Schulleiterin, als sie Leonora über ein Heft gebeugt sieht.
    »Ich schreibe ein Handbuch des Ungehorsams.«
    »Ihre Mutter hat mir erzählt, dass Sie zeichnen.«
    »Jetzt schreibe ich.«
    In der Pause beobachtet Miss Penrose, die das Haus nie ohne Hut und Handschuhe verlässt, ihre Zöglinge durchs Fenster und hört Leonora Anweisungen schreien:
    »Kommt, wir spielen Pferd.«
    Die anderen stimmen zu, allen voran Elizabeth Apple. Ausgelassen springen sie umher und treten wild um sich, bis der Teewagen mitsamt den Porzellantassen zu Bruch geht. Sie galoppieren durch den Garten, ihre Mähnen sind Wasservorhänge, sie zittern, steigen einander auf den Rücken, wiehern. Miss Penrose ist fassungslos. »Was soll denn das Theater, meine Damen? Sind Sie von Sinnen?«
    Von Hazelwood aus verspricht Carrington, für den Teewagen und die kaputten Tassen doppelt aufzukommen.
    »Das macht meine Tochter nicht noch einmal. Ich habe ihr verboten, sich für ein Pferd zu halten.«
    Sie ist Miss Penroses jüngste Schülerin und die originellste, die Lehrerin beobachtet ihre Reaktionen. Mit großen Augen scheint Leonora einer inneren Stimme zu lauschen. In ihrem dunklen Blick funkeln Leuchtzeichen. Museumssäle betritt sie ehrfurchtsvoll, würde am liebsten das Geräusch ihrer Absätze ersticken, hebt die Hand zum Mund. Schlägt ihr Herz schneller? Da der Aufseher nicht erlaubt, dass man die Linie übertritt, betrachtet sie die Werke von Weitem, sie fürchtet, gleich werde ein Alarm in ihr selbst ausgelöst. Immer wieder sucht sie dieselben Gemälde auf.
    »Was beeindruckt dich so sehr an Francesco di Giorgio und Giovanni di Paolo?«, fragt Miss Penrose.
    »Wie sie die Farbe verwenden, ihr Zinnoberrot, ihre verschiedenen Brauntöne. Dieses herrliche Gold! Das würde ich gern in meiner eigenen Malerei einsetzen. Wie kommt es, dass Cimabue seinem Jahrhundert so weit voraus war?«
    Ihre Freundin Elizabeth Apple teilt ihre Begeisterung. Beide machen sich Notizen, und von Zeit zu Zeit entwischen sie Miss Penrose, schwänzen die Benimm-Stunden und die Vorträge zu Antiquitäten. Keine von beiden interessiert sich besonders dafür, ob ein Möbelstück Directoire oder Louis-quinze ist.
    Elizabeth, eher zaghaft, bremst sie oft. »Durch diese Gasse sollten wir besser nicht gehen, die ist so dunkel«; »Lass uns lieber umkehren«. Umkehren ist das Letzte, was Leonora will, sie betritt einen staubigen Antiquitätenladen, eine Art Höhle, in der Spinnen ihre Fäden, Netze und Hängebrücken gewoben haben, die sich von der Hand eines eisernen Wagenlenkers zu einem Porzellanteller spannen und sich unterwegs um einen florentinischen Dolch winden. »Diese Bücher haben wir aus einem venezianischen Palast gerettet«, sagt ein altes Männlein, schiffbrüchig wie seine Schätze, und zeigt auf einen vergilbten Stapel. Wer weiß, was für Pilze in dieser gruseligen Höhle sprießen.
    Leonora ist in ihrem Element, ist neugierig und vertrauensselig zugleich. Dieser Staub hat etwas Magisches. Plötzlich funkeln zwischen den Antiquitäten die gelben Augen einer Katze. Von Katzen wimmelt es nur so in Florenz. Am liebsten würde Leonora später einmal ihr Leben in einer Höhle wie dieser beenden, da würde sie sich sicher fühlen. Begeistert geht sie spazieren, über die Piazza della Signoria, den Ponte Vecchio, die Piazza del Duomo und am Südufer des Arno entlang, läuft durch Oltrarno, über den Lungarno Serristori, wo das Grün im Park sie an Irland erinnert. Auf einem baumbestandenen Hügel am Ufer kann sie bis zur anderen Flussseite und sogar bis zu den Uffizien blicken.
    Eines Morgens, nach heftigen Regenfällen, tritt der Arno über die Ufer und bedeckt zahlreiche Monumente mit Schlamm. Scharen junger Leute strömen aus ganz Italien zur Biblioteca Nazionale, um die gefährdeten Bücher zu retten, und Leonora lernt Giovanni kennen, einen zwanzigjährigen Mann mit vorspringenden Augen, der gerne lacht. Gemeinsam mit den anderen säubert er die Bücher Seite für Seite.
    »Ich bin mit Freunden auf dem Motorrad aus Rom gekommen«, erzählt er ihr lächelnd.
    »Und wo schlaft ihr? Wo esst ihr?«
    »Ich
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