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Franklin Gothic Medium (German Edition)

Franklin Gothic Medium (German Edition)

Titel: Franklin Gothic Medium (German Edition)
Autoren: Stefanie Maucher
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konnte.
    Bald war ihre Freiheit weitestgehend wiederhergestellt; lediglich eines ihrer Handgelenke umschloss er mit einem Paar Handschellen und fixierte sie damit an einer Metallstange, die in praktischer Höhe in die Wand hinter ihr eingelassen war.
    Wie ein im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Wagens vor Angst erstarrtes Reh saß sie regungslos auf seiner Arbeitsfläche, mit weit aufgerissenen Augen und ängstlich bebenden Nüstern. Ungerührt, ohne ihr auch nur vage ihre Lage oder gar den Grund ihrer Gefangennahme zu erklären, drehte er ihr den Rücken zu, nahm einen Salatkopf zur Hand und fing an, die zarten Blätter auseinanderzupflücken und sorgfältig zu waschen. Alsbald schon, nach nur einem kurzen Moment der fassungslosen Ruhe, versuchte sich sein Opfer in der hohen Kunst der Kommunikation. Verlangte zu wissen, was er mit ihr vorhatte, weshalb sie hier war, gefesselt auf der Arbeitsplatte in einer ihr fremden Küche. Würde er sie töten? Oh, dieser flehende Blick; welch köstliche Pein in ih ren vom Weinen geröteten Augen…
    Noch immer wortlos setzte er ein strahlendes, gütiges Lächeln auf, schüttelte nachsichtig und verneinend seinen Kopf. Nein, um ihren Tod ging es ihm nicht. Wenngleich sein Eintreten wohl eine nur sekundär wichtige Begleiterscheinung dessen sein würde, was er mit ihr vorhatte; ein Umstand den er vorerst unerwähnt ließ. Erleichterung brachte ihr Gesicht zum Strahlen; Ähnliches hatte er bisher nur bei Sonnenaufgängen in den Schweizer Alpen gesehen. Hoffnung keimte auf; eine “Alles-wird-gut-Mentalität" bemächtigte sich Ihrer, und fast schien es so, als wollte sie ihrem Peiniger vor Dankbarkeit die Füße küssen.
    “Ich möchte, dass du mein Abendessen mit deiner lieblichen Anwesenheit bereicherst!”, erklärte er ihr mit einem verschmitzten Lächeln, während er ihr mit einer leicht angedeuteten Verbeugung eine Rose überreichte, die er nebenbei aus dem Stück einer Karotte geschnitzt hatte. 
    “Sie wollen mit mir essen?” hinterfragte sie, verwirrt von der absurden Banalität seines Anliegens. "Sie entführen mich und bringen mich fast um, weil sie mit mir essen wollen?"
    “Aber nein, mein Dummerchen“, korrigierte er rasch. “Ich werde Dich essen!”
    Zuerst lachte sie ungläubig, doch nach einem langen Blick auf sein gleichmütig-freundliches Gesicht, welches in starkem Kontrast stand zu der Gier in seinen Augen und dem Tranchiermesser in seiner Hand, schrie sie. Hoch und schrill, als wolle sie die unausweichliche Arie mit dem Zersingen seiner Weingläser beginnen. Nach dem Schreien kam das Kreischen, dann das Betteln und schließlich, nach dem fast schon mitleiderregenden Flehen, kam das Schweigen. Das Erkennen der Wahrheit, das Begreifen der Ausweglosigkeit und des bevorstehenden Endes, morphte ihr ansonsten hübsches Gesicht in eine furiengleiche Karikatur, gezeichnet von Entsetzen apokalyptischen Ausmaßes. Dies war der sagenumwobene Anblick, der sich einst Odysseus geboten haben musste, als er Auge in Auge mit Scylla und Charybdis um sein Leben rang. Es war das bleiche Pestgesicht des Mittelalters; der frühe Kindstod, das schwarze Herz der Finsternis: der Wahnsinn. Wahnsinn in ihrem Blick, in ihren Zügen, in jeder ihrer noch ungewürzten Hirnwindungen. Die Frau, die sie bis vor wenigen Momenten noch gewesen war, hatte das Feld geräumt und Plat z geschaffen für Mutter Agonie.
    In diesem fast schon katatonischen Zustand verharrte sie, während er sich wieder von ihr abwandte, gemächlich ein paar Zwiebeln schälte, ein delikates Salatdressing anrührte und ein wenig Butter in einer kleinen Pfanne zerließ. Doch kaum näherte er sich ihr, mit gezückter und geschärfter Klinge, fing sie an sich zu regen. Dann begann die Symphonie des Schmerzes, leise erst, mit einem Wimmern, zart wie der erste Streich mit dem Bogen, den ein hochbegabter Violinist führt. “Schhhh”, flüsterte er während er mit festem Griff ihr Haar packte, um auf diese Art die Kontrolle über die Beweg ungen ihres Kopfes zu erlangen.
    Sie wand sich wie eine tödlich verwundete Schlange, nur dass es in seiner mit sämtlichen Finessen ausgestatteten Schlachthalle keinen Wüstenfelsen gab, unter dem sie sich verkriechen konnte. Ihr sich selbst verzehrender Geist beschwor ihr tausend Dinge und Kleinigkeiten herauf; Termine, Dates und Afterwork-Partys, auf denen sie einfach erscheinen musste. Sie konnte nicht sterben; nicht jetzt und nicht so. Da wartete noch so viel Leben auf sie; so
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