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Fragmente: Partials 2 (German Edition)

Fragmente: Partials 2 (German Edition)

Titel: Fragmente: Partials 2 (German Edition)
Autoren: Dan Wells
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Teppiche –, aber das Gebäude selbst stand unerschütterlich. Das Treppenhaus, in dem Kira sich nun befand, war außerordentlich gut erhalten, staubig, ohne verdreckt zu sein, und die abgestandene Luft verriet, dass es seit dem Zusammenbruch mehr oder weniger gut versiegelt gewesen war. Es war gespenstisch wie eine Grabkammer, obwohl hier, soweit sie es sehen konnte, niemand gestorben war. Sie fragte sich, ob sie weiter oben auf Tote stoßen würde. Falls jemand die Treppe hinuntergelaufen war, als das RM -Virus ihn erwischt hatte, war er hier eingeschlossen worden. Doch als sie das zwanzigste Stockwerk erreichte, hatte sie noch kein einziges Opfer entdeckt. Sie spielte mit dem Gedanken, weiter hinaufzusteigen, um die seit zwanzig Stockwerken aufgestaute Neugierde zu befriedigen, entschied sich aber dagegen. In einer Stadt dieser Größe gab es genügend Leichen. Die Hälfte der Autos auf den Straßen war mit Toten besetzt, und in den Häusern und Büros lagen Millionen weitere. Ein Toter mehr oder weniger in einem verlassenen alten Treppenhaus änderte überhaupt nichts. Sie stemmte die quietschende Tür auf und betrat die Niederlassung von ParaGen.
    Natürlich war dies nicht das Hauptbüro, das sie ein paar Wochen zuvor auf einem Foto gesehen hatte: sie selbst als Kind, ihr Vater und ihre Adoptivmutter Nandita vor einem großen gläsernen Gebäude, hinter dem sich schneebedeckte Berge erhoben. Sie wusste nicht, wo das Gebäude stand, und erinnerte sich nicht, wann das Foto aufgenommen worden war. Und ganz gewiss konnte sie sich nicht erinnern, Nandita schon vor dem Zusammenbruch gekannt zu haben. Aber was sollte sie machen? Sie war erst fünf gewesen, als die Welt untergegangen war, auf dem Foto vielleicht erst vier. Was hatte das zu bedeuten? Wer war Nandita überhaupt, und inwiefern stand sie mit ParaGen in Verbindung? Hatte sie dort gearbeitet? Und ihr Vater? Sie wusste noch, dass er in einem Büro gearbeitet hatte, war aber zu klein gewesen, um sich an Einzelheiten zu erinnern. Wenn Kira wirklich als Partial gelten musste, war sie dann das Ergebnis eines Experiments im Labor? Eines Unfalls? War sie ein Prototyp? Warum hatte Nandita ihr nichts davon erzählt?
    Das war in gewisser Weise die wichtigste Frage überhaupt. Kira hatte fast zwölf Jahre bei Nandita gelebt. Die Vorstellung, dass die Frau die ganze Zeit Bescheid gewusst und nie ein Wort darüber verloren hatte, was Kira wirklich war, behagte ihr ganz und gar nicht.
    Außerdem wurde sie schon wieder nervös, genau wie gerade vorher auf der Straße. Ich bin nicht echt, dachte sie. Ich bin eine künstliche Konstruktion, die sich für eine Person hält. Ich bin ebenso unecht wie das Natursteinimitat auf diesem Schreibtisch. Sie betrat den Vorraum und berührte den Empfangstisch, dessen Belag sich abschälte: angemalter Kunststoff über gepressten Plastikplatten. Noch nicht einmal richtig natürlich und erst recht nicht echt. Sie hob den Kopf, verdrängte das Unbehagen und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Der Empfangsbereich war für die Verhältnisse in Manhattan geräumig – ein weitläufiger Raum voller aufgeplatzter Ledersofas mit einem zerklüfteten Felsgebilde, auf dem vermutlich früher ein Wasserfall oder ein Springbrunnen geplätschert hatte. An der Wand hinter dem Empfangstisch hing das Firmenzeichen von ParaGen aus massivem Metall, das sie schon auf dem Foto im Hintergrund gesehen hatte. Sie öffnete ihren Beutel, zog das sorgfältig gefaltete Bild heraus und verglich die Symbole. Identisch. Dann steckte sie das Foto wieder weg und trat hinter den Empfangstisch, um die Dokumente durchzusehen, die darauf verstreut waren. Wie das Treppenhaus besaß auch dieser Raum keine Öffnung nach draußen und war deshalb von den Naturgewalten verschont geblieben. Die Papiere waren alt und vergilbt, aber unversehrt und sogar geordnet. Überwiegend waren es Belanglosigkeiten: Telefonlisten, Firmenbroschüren, ein Taschenbuch, das die Empfangsdame gelesen hatte. Tödliche Liebe , lautete der Titel, auf dem Einband ein blutiger Dolch. Möglicherweise keine geeignete Lektüre, wenn gerade die Welt unterging, aber andererseits war die Empfangsdame während des Zusammenbruchs wahrscheinlich gar nicht mehr hier gewesen. Vermutlich hatte man sie evakuiert, als die RM -Seuche aus dem Ruder gelaufen war. Oder gleich nach Freisetzung des Virus – oder womöglich sogar noch früher, unmittelbar nach Beginn des Partialkriegs. Kira tippte mit einem Finger auf das Buch
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