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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe
Autoren: Anne Hansen
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hat. Wie gerne würde ich mal ein »Ich dich auch« durch die Scheibe zu jemandem flüstern.
    Wir winken.
    Bis morgen, Pia. Hallo, Ruhrpott.
     
    Die Papiertüte ist eine »Vorbereitungstüte«, wie Pia sie getauft hat. Sie hat sie mir gestern Abend in die Hand gedrückt, so wie meine Mutter mir für eine Zugfahrt immer ein geschmiertes Butterbrot mitgab. »Aber erst im Zug aufmachen«, hieß es jedes Mal. Meistens hatte ich das Brot schon nach zehn Minuten gegessen. Ich weiß auch nicht, wie das kommt. Auch wenn ich vorher ein Drei-Gänge-Menü gegessen habe, knurrt mein Magen, sobald ich im Zug sitze. Ich denke ja, dass ich in einem früheren Leben aus Ostpreußen fliehen musste. Seitdem hat mein Körper das so verinnerlicht, dass er immer davon ausgeht, er müsse an die letzten Fettreserven gehen, sobald er von einem Gefährt (auf der Flucht war es sicher ein Bollerwagen, also vergleichbare Geräusche wie ein ICE) in Bewegung gesetzt wird. Wie gut, dass ich nicht regelmäßig Zug fahren muss. Eine Wochenendbeziehung würde zu einer sukzessiven Verfettung führen. Noch ein Grund, warum ich in der Stadt meines Auserwählten leben muss. Auch wenn diese Stadt Oberhausen heißt.
    Wir sind noch nicht einmal in Hamburg-Harburg (acht Minuten vom Hauptbahnhof entfernt), da kann ich es nicht mehr abwarten, Pias Vorbereitungstüte zu öffnen.
    »Was tut man nicht alles für die Liebe?«, hat Pia in roter Schrift draufgeschrieben und daneben ein rotes Herz mit den Initialen »K+H« gemalt. Pia kommt sich wohl sehr witzig vor. Sie wird sich noch wundern, wenn ich ihr morgen erzähle, dass ich frisch verliebt bin und bei Immoscout24.de schon »Oberhausen« eingegeben habe.
    Ich sitze an einem Vierertisch mit Anton (4), Emma (6) und Sabine (34). Als ich die Tüte öffne, starren mich Anton und Emma mit großen Augen an. Pia wird in ihrer Laune doch wohl nicht Kondome in die Tüte getan haben? Verlobungsringe könnte ich den beiden noch erklären, aber etwas anderes? Ich bete inständig, dass der Inhalt jugendfrei ist.
    Glück gehabt.
     
    1. Ein Ticket für die Show. Pia hat um »Reihe 5« ein rotes Herz gemalt (ich glaub es nicht, das muss ich doch beim Eingang vorzeigen!) und daneben »5!! Deine Glückszahl!!!!« geschrieben.
    2. Vampirzähne aus Kunststoff. Kommentar von Pia auf einem gelben Klebezettel: »Damit du ihn stilecht erlegen kannst«.
    3. Ein Reagenzglas mit – ich hoffe für Pia, dass es Ketchup ist.
    4. Eine Kodak-Einwegkamera für Kinder mit einem Aufkleber von Pia drauf: »Zubeißen und abdrücken«.
    5. Ein Stadtplan von Oberhausen. Kommentar von Pia: »Ich hätte dir gerne noch die Stadtgeschichte von Oberhausen zusammengefasst, aber die gibt es nicht«. Dahinter: Ein dicker Smiley.
     
    Anton und Emma sehen neidisch auf meinen Geschenkaltar, der sich über den ganzen Vierertisch zwischen uns erstreckt. Ich will mal nicht so sein. Gnädig biete ich ihnen an, dass sie jeder kurz meine Zähne in den Mund nehmen dürfen. Sie strahlen mich an. Anton und Emma stecken sich abwechselnd die Zähne in den Mund und Mama Sabine macht Fotos mit dem Handy.
    Ach, ich liebe Vorbereitungstüten. Ich werde Pia verpflichten, mir ab sofort für jede Fahrt zu einem Traummann eine Vorbereitungstüte zu machen.
    »Danke für die nette Fahrt«, sagt Mutter Sabine, als wir uns in Essen verabschieden. »Müssen Sie eigentlich noch weiter?«
    »Ja, bis nach Oberhausen«, sage ich und tatsächlich kommt das Wort der Worte schon viel leichter und selbstverständlicher über meine Lippen als gestern.
    Oberhausen, ich bin bereit für dich. Halt, ich korrigiere: für dich und deinen aufregendsten Bewohner!
     

     
    Bin ich auch bereit fürs Centro?
    Als ich mit der S-Bahn(!) in Oberhausen ankomme, habe ich noch zwei Stunden Zeit, bis die Vorstellung anfängt. Normalerweise sehe ich mir gerne die Altstadt an, wenn ich irgendwo neu bin. Bummle durch kleine Gassen mit Kopfsteinpflaster und lasse mich von der neuesten Mode in teuren Boutiquen inspirieren. In Oberhausen habe ich allerdings den Fehler begangen, einen Einheimischen um einen Insider-Tipp zu bitten.
    »Wo kann ich denn hier hingehen, um mir ein wenig die Stadt anzusehen?«, fragte ich eine Frau, die am Bahnhof stand.
    Sie schwieg ratlos und sagte dann: »Hier gibt’s eigentlich nur das Musicaltheater und das Centro.«
    »Das Musical besuche ich nachher noch.«
    »Ja, dann gehen Sie mal ins Centro.«
    Ratloses Schweigen.
    Das Centro ist ein riesiges Einkaufszentrum. Nein,
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