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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe
Autoren: Anne Hansen
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Einkaufszentrum klingt zu profan. Das Centro ist ein Einkaufstempel, eine Einkaufsstadt. Vor dem Centro gibt es den Centro-Freizeitpark, ein riesiges Kino, ein eigenes Kirchenzentrum, eine Modellbahnwelt und ein Sealife-Aquarium. Wenn man es genau nimmt: Centro ist Oberhausen. Oberhausen ist Centro.
    Ich stehe am »Serviceschalter Mitteldom« (sozusagen der Touristinformation). Rechts von mir zweigt die »Hauptstraße« ab, hinter mir der »Marktweg« und links von mir die »Parkallee«. (Ich sag ja: Das Centro ist eine Stadt!)
    Die Frau am Schalter hat mir einen Lageplan in die Hand gedrückt, den man auseinanderfalten kann. Früher bekamen sich Paare in die Haare, wenn sie gnadenlose Falk-Stadtpläne von Paris oder London falsch auseinandergefaltet hatten und nicht mehr zusammenbekamen. Hier am Serviceschalter Mitteldom spielen sich sicher regelmäßig solche Szenen ab: mit den Plänen und Infoblättern vom Centro.
    Im Vorfeld habe ich gelesen, dass jährlich 23 Millionen Menschen das Centro besuchen. Ich habe den dumpfen Verdacht, dass 23 Millionen dieser 23 Millionen heute hier sind, genau jetzt, vor mir. Frauen mit Einkaufstüten haken sich bei Frauen mit Einkaufstüten unter, Männer tragen Einkaufstüten, Kinder halten sich an Müttern mit Einkaufstüten fest, Männer suchen verschwundene Frauen, Frauen suchen verschwundene Kinder, Kinder suchen Pferde aus Plastik, auf denen man für einen Euro eine Minute reiten kann.
    Ich habe einmal gelesen, dass die Chinesische Mauer das einzige Bauwerk ist, das man vom Weltall aus sieht. Hallo? Kann die gesamte Wissenschaft dermaßen danebenliegen? Ich bin mir sicher, dass auch das Centro von oben erkennbar ist. Könnte jemand diese unumstößliche Tatsache bitte in die Forschungsliteratur mit aufnehmen? Danke!
    Wie erstarrt stehe ich immer noch am Serviceschalter Mitteldom. Ob ich hier bald öfter stehen werde? Ob ich die Frau am Schalter bald duzen und zum Kaffee einladen werde? Ob ich bald zu meinen Eltern sage: »Wie schön, dass ihr endlich einmal zu Besuch seid! Lasst uns doch erst einmal im Centro ein wenig bummeln gehen und danach essen wir meine selbstgemachte Schwarzwälder Kirschtorte.« Ob ich bei diesem Satz strahlen werde?
    Ach, eigentlich kann ich mir das ganz gut vorstellen. Alle Geschäfte auf einem Haufen – eigentlich ein wahr gewordener Traum. Brauche ich mehr zum Leben? Ich würde sagen: nein.
    Gut, Kinder sollen zwar nicht im Centro aufwachsen, aber bis dahin können Kevin und ich ja wegziehen. Kevin Tarte. Hannah Tarte. Mmh, lecker. Klingt aber auch irgendwie wie ein französischer Schokokuchen, der pro Stück 1000 Kalorien auf die Waage bringt. Ich höre schon, wie Pia mich anruft.
    »Hannah, kannst du dich bitte mit einem anderen Namen melden? Ich werde immer gleich 100 Gramm schwerer, wenn ich dich so höre.«
    Ich muss kichern und rufe Kevin (der sich im Bad gerade für die Vorstellung rasiert) zu: »Pia hat sich schon wieder beschwert, dass sie wegen meines Namens zunimmt.« Aus dem Bad höre ich ein dunkles, warmes Lachen.
    Na ja, vielleicht kann er ja auch meinen Namen annehmen. Kevin Jensen? Gott bewahre. Doppelname! Kevin Tarte-Jensen? Klingt eigentlich ganz gut. Es wird sich schon alles fügen. Plötzlich fällt mein Blick auf eine Uhr: Schon fast zwei. In einer Stunde beginnt die Vorstellung, danach habe ich das Interview mit Kevin Tarte. Nein, ich korrigiere: mit Kevin Tarte-Jensen.
     

     
    Es ist 14 Uhr 45. Eigentlich müsste jetzt langsam mal die Durchsage kommen. Jedes Mal wenn ich im »Tanz der Vampire« sitze, rechne ich nämlich fest damit, dass kurz vor der Vorstellung die Lautsprecher knistern (Zuschauer verstummen) und eine Stimme spricht: »Verehrte Gäste, leider ist unsere Hauptdarstellerin krank geworden und ihre Vertretung auch. Gibt es zufälligerweise jemanden im Publikum, der textsicher ist und sich zutraut, ganz spontan einzuspringen?« Die Zuschauer würden die Köpfe schütteln, einander »Da finden die doch nie jemanden« zumurmeln und genau in dem Moment würde ich aufstehen und erst zaghaft, dann lauter »Hier bin ich!« rufen.
    14 Uhr 50. Immer noch keine Durchsage. Komisch. Ich müsste mich ja auch noch umziehen. Das könnte knapp werden. Na ja, vielleicht muss ich erst nach der Pause einspringen. Ist mir recht. Der zweite Teil ist gesanglich ja auch wesentlich anspruchsvoller.
    Ich sitze in Reihe fünf. Vor mir freut sich ein Junggesellinnenabschied von einer gewissen Ute (T-Shirt-Aufdruck: »Ute heiratet –
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