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Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Titel: Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Autoren: Jonathan Schnitt
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sein.
    Hier haben die am Afghanistan-Einsatz beteiligten Bundesregierungen schwere Fehler gemacht. Die militärischen Mittel waren faktisch lange Zeit unzureichend, um die zugewiesenen Gebiete in Nord-Afghanistan und insbesondere die Region Kunduz zu befrieden. Bis heute sind die Mittel – und nicht nur die militärischen – zu gering, um das zu Anfang benannte Ziel, namentlich Demokratie, in Afghanistan zu erreichen.
    Zum Ende des Einsatzes stelle ich mir deshalb (auch als Zivilist) nun Kissingers dritte Frage: »Kannst du das Ziel mit dem Preis, den du bereit bist zu zahlen, erreichen?« Meine Antwort: »Nein. Auf keinen Fall« – und ich verweise auf Punkt vier: »Wenn nicht, passe dein Ziel dem Preis an, den du bereit bist zu zahlen.« Ziel ist nun, die afghanischen Sicherheitskräfte, also ANP, ANA und auch LSF, soweit zu stärken, dass sie die Taliban – im Sinne der Regierung in Kabul – auch nach 2014 in Schach halten können. Wie schon erwähnt – meine Ansicht –, ich halte das vor dem Hintergrund der sehr an lokalen Kräfteverhältnissen orientierten Bevölkerung in Afghanistan für äußerst schwierig.
    Der Journalist Julian Reichelt gibt für die Denkweise einfacher Afghanen in seinem Buch »Ruhet in Frieden, Soldaten« ein Beispiel, wie es klarer nicht sein könnte.
    Eine der eindrucksvollsten Stellen in seinem Buch lautet:
    In den Feldern hockten Bauern, sie beobachteten uns misstrauisch. Ihre Gesichter waren wie aus Stein. Der Leutnant der US-Marines sprach einen Bauern an.
    »Haben Sie gewählt?«, fragte er. Der Dolmetscher übersetzte. Der Bauer schüttelte den Kopf …
    »Er weiß nicht, was Sie meinen, Sir«, sagte der Dolmetscher.
    »Okay, fragen Sie ihn, ob er lesen oder schreiben kann«, sagte der Leutnant.
    Wieder schüttelte der Bauer den Kopf. Der Leutnant zog einen Stift hervor und hielt ihn hoch.
    »Fragen Sie ihn, ob er weiß, was das ist«, sagte der Leutnant zu seinem Dolmetscher.
    »Nein«, sagte der Mann, der in seinem Opiumfeld hockte.
    Die meisten Afghanen können weder lesen noch schreiben. Viele von ihnen haben noch nie einen Stift in der Hand gehalten. Sie wissen nichts anzufangen mit dem Konzept einer Wahl. Sie sollen auf einem Zettel, den sie nicht verstehen, einen Namen ankreuzen, von dem sie noch nie gehört haben. Der Zettel soll nach Kabul geschickt werden, in eine Stadt, die in ihrem Leben noch nie von Bedeutung war. Dort sollen die Zettel gezählt werden, aber die meisten Afghanen können nicht rechnen. Wer die meisten Zettel hat, gewinnt, aber die Mehrheit der Afghanen kann sich nicht vorstellen, wie ein Mann mit Zetteln von Kabul aus ihr Dorf regieren soll. Und wählen sollen sie mit einem Instrument, das sie noch nie in der Hand gehalten haben.
    Ich habe ähnliche Situationen erlebt, könnte es aber nicht besser beschreiben als Reichelt in seinem Buch. Erst wer vor Ort in Afghanistan ist, begreift, wie sehr sich die Denkweise der einfachen Afghanen von unserer Denkweise unterscheidet. Man kann das intellektuell erfassen und auch versuchen nachzuvollziehen, wirklich begreifen tut man es als Bürger der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise eines westlichen Landes wohl nie.
    Was mich zur nächsten Frage führt, die ich mir immer wieder gestellt habe: Nützt der Einsatz dem Land Afghanistan?
    In Teilen sicherlich. Auch hier gilt: Ich habe nur den Norden gesehen. Die Region Kunduz und ein wenig von der Region rund um Mazar-i Sharif. Das ist sehr wenig und erlaubt keine umfassende Bewertung. Aber in diesen Regionen findet seit kurzer Zeit tatsächlich ein Aufbau statt. Jetzt, wo es die Sicherheitslage zulässt. In Kunduz steht dieser Aufbau – nach immerhin zehn Jahren ISAF in Afghanistan – noch ganz am Anfang. Und was dazu kommt: Ich habe Schulgebäude gesehen, die mit reichlich Pomp, vielen Mitteln und großem Prestige eingeweiht wurden. Und nach fünf Monaten waren die Klassenräume noch immer leer, die Bücherkisten verstaubt und noch nicht mal ausgepackt, und nur ein einziger Raum des neuen Gebäudes wurde genutzt – als Koranschule. Es liegt letztlich immer auch an den Afghanen, die Möglichkeiten zu nutzen.
    Wie schon gesagt geht es der internationalen Gemeinschaft aktuell weniger um den Aufbau einer Demokratie, sondern um die Aufrechterhaltung des Status quo. Was bedeutet, die Sicherheitskräfte der Regierung in Kabul aufzubauen. Wie sieht es damit aus?
    Die Polizei und die Armee werden durch Ausrüstung gestärkt und durch gemeinsame Operationen
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