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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition)
Autoren: Eliane Reinert
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die Kirche, erschienen jedoch zu den Festlichkeiten, deren größte Attraktion immer eine Versteigerung war, bei der Geld für Renovierungen und andere Ausgaben gesammelt wurde. Außerdem gab es dort Stände mit gegrilltem Fleisch, Süßigkeiten aus der Hauptstadt, importierten Weinen und Spielzeug, für das Fred und ich uns am meisten interessierten.
    Mein Vater hatte ein besonderes Steckenpferd: Er spielte Lotto. Allerdings nur bis zu dem Tag, an dem er von einem sogenannten Freund übers Ohr gehauen wurde. Er wohnte in der Hauptstadt, kaufte Kaffee in Madrigal und verkaufte den dann wiederum in der Hauptstadt.
    Die unzähligen Spielzeugautos, die Tim besaß, waren über diesen Herrn gekauft worden, den Papa als Freund bezeichnete, und der sogar einige Male in unserem Haus übernachtete, wenn in der Pension Mileide keine Betten mehr frei waren. Immer wenn er zu Hause erschien, brachte er ein neues Auto mit, das Papa bestellt hatte. Er erhielt neben dem Preis für das Spielzeug auch ein Trinkgeld. Manchmal bestellte Papa gleich drei oder vier Autos. Mit der Zeit wuchs die Einkaufsliste an, Papa bestellte Seide für Mama, Lockenwickler für Tereza, Sportzeitschriften für Fred und andere Kleinigkeiten. Der Kaffeehändler lächelte, während er das Geld in die Tasche steckte und neue Einkaufswünsche notierte. Er war sozusagen der Mittelsmann zwischen Papa und der großen Stadt, die zu der damaligen Zeit viel weiter von Madrigal entfernt schien als heutzutage.
    Das Vertrauen in diesen Mann wuchs, bis mein Vater schließlich über ihn auch Lotto spielte. Das funktionierte folgendermaßen: Papa trug ihm auf, für ihn zu tippen – die Zahlenfolge hatte der Mann in seinem Notizbuch vermerkt –, gab ihm das Geld und erhielt zwei Wochen später den offiziellen Bescheid der Lottogesellschaft. Mein Vater glaubte, damit Geld und Zeit zu sparen, denn in unserer Stadt gab es keine autorisierte Stelle für diejenigen, die davon träumten, durch das Spielen reich zu werden. Diese Träumer waren meistens einfache Arbeiter, die sich auf das Glück und auf andere Menschen verließen.
    Irgendwann erschien der Mann nicht mehr bei uns. Mein Vater hatte über sein altes Kofferradio erfahren, dass er fünf der sechs Lottozahlen getroffen hatte. Er hatte eine Menge Geld gewonnen, nicht genug für einen Millionär, aber ausreichend, um etwas Land zu kaufen, den Bankkredit abzuzahlen, den er für den Bau unseres Hauses aufgenommen hatte, und der Familie ein angenehmeres Leben zu bieten. Zu unserem Unglück tauchte der Händler nie mehr auf, und als mein Vater versuchte, ihn in der Hauptstadt ausfindig zu machen, erhielt er die Nachricht, dass der Mann spurlos verschwunden sei. Dieser Vorfall zerriss das Herz meines Vaters, er war nie mehr derselbe. Enttäuschungen töten zwar nicht, aber sie hinterlassen tiefe Wunden im Körper und in der Seele.
    Zurück zu meiner Reise: Wie vom Donner gerührt beobachtete ich Tim, der sich ungeschickt abtrocknete. Ich fühlte, wie mir die Tränen in die Augen traten. Diese Erfahrung war so aufregend, dass ich innerlich total aus dem Häuschen war.
    Danach sah ich, wie er in seiner Schuluniform die Treppe herunterrannte. Die Uniform war nicht vorgeschrieben, aber Mama bestand darauf, dass wir sie trugen. Sie bestand aus einem weißen Hemd und einer marineblauen Latzhose, auf deren Tasche die Initialen der Schule aufgestickt waren. Als alle am Tisch saßen, servierte Mama Käsebrote, Eier und Milchkaffee. Früchte gab es nur am Nachmittag.
    Ich lief durch das Haus in den Garten und konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war: Diese Reise war eine Reise in die Vergangenheit! Wie das möglich war, war mir unbegreiflich, aber dass es so war, konnte ich nicht leugnen.
    Papa gab Tim und anschließend Fred einen Kuss auf die Stirn, dann küsste er meine Mutter sanft auf die Lippen und ging zur Arbeit. Zur Hutfabrik war es nicht weit, sie befand sich auf einem ebenen Gelände und war von der Zufahrtsstraße nach Madrigal aus bereits zu sehen. Papa war ein leitender Angestellter in dieser Fabrik, die fünfzig Arbeiter beschäftigte. Dort wurden Hüte aller Herren Länder produziert, die im ganzen Land verkauft wurden.
    Kurz darauf fuhren Fred und Tim mit ihren Fahrrädern in die etwa zwanzig Minuten entfernte Schule. Mama setzte sich auf eine Bank mit Blick in den Garten und warf einen Blick in Freds Sportzeitschrift, bevor sie mit ihrer Stickerei begann.
    Es war der erste Schultag des Jahres für Tim. Er kam
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