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Forgotten

Forgotten

Titel: Forgotten
Autoren: Cat Patrick
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Mund, wie um einen Schrei zu unterdrücken.
    Wir warten.
    Captain Moeller räuspert sich.
    Am liebsten würde ich über seinen zugemüllten Schreibtisch springen und ihm die Worte aus der Kehle schütteln.
    Endlich sagt er etwas.
    »Der Junge, den ihr begraben habt, ist nicht Jonas.«
    Die Worte hängen im Raum. Fast habe ich das Gefühl, dass ich sie sehen kann. Niemand spricht. Niemand rührt sich. Als ich schließlich die Spannung nicht länger aushalten kann, stelle ich die völlig irrelevante Frage: »Wer war es denn dann?«
    »Ein Junge, der genau zur selben Zeit an Krebs gestorben ist. Seine Leiche war aus dem Leichenschauhaus entwendet worden.«
    Meiner Mutter entfährt ein Laut des Entsetzens.
    »Ich weiß, dass es schrecklich für dich sein muss, Bridget­te.«
    »Und was passiert jetzt?«, fragt sie durch die Finger ihrer Hand hindurch, die sie immer noch auf den Mund gedrückt hat.
    »Wir werden eine neue Suche nach Jonas einleiten.«
    Meine Mutter wirkt ein wenig wie unter Schock. Sie erwidert nichts, was den Captain dazu veranlasst, in seinen Erklärungen fortzufahren.
    »Ich habe meinem Team schon mal gesagt, sie sollen die Alterungssoftware über ein Foto von Jonas laufen lassen, das wir noch hatten. Wir werden das Bild übers interne Netz rausgeben, damit auch die Kollegen im näheren Umkreis nach ihm Ausschau halten.«
    »Was, wenn er gar nicht mehr hier in der Gegend ist?«, frage ich.
    »Natürlich werden wir es auch landesweit verbreiten.«
    »Kann ich es sehen?«
    »Selbstverständlich.« Der Captain wühlt eine Weile in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch, bis er eine dicke, abgewetzte Aktenmappe zutage fördert. Ich frage mich, wie oft sie wohl schon in den letzten zehn Jahren geöffnet wurde.
    Captain Moeller blättert sie durch und zieht ein Foto heraus, das etwa so groß ist wie ein Din-A4-Blatt.
    »Bitte sehr.« Er schiebt das Foto über den Tisch zu mir hin. Meine Mutter beugt sich vor, traut sich aber nicht, es anzufassen. Tränen laufen ihr über die Wangen, doch sie ist so still, dass ich ihre Gegenwart kaum wahrnehme.
    Captain Moeller reicht ihr ein Taschentuch und lässt uns dann allein. Sobald er den Raum verlassen hat, nehme ich das Foto in die Hand, um es genauer zu betrachten.
    Aus irgendeinem Grund überkommt mich bei seinem Anblick ein Gefühl der Ruhe. Mein Bruder. Die Anspannung in meinen Schultern löst sich, und ich atme langsam aus.
    Es fühlt sich richtig an.
    Er kommt mir bekannt vor.
    »Erinnerst du dich an ihn? Von später?«, fragt meine Mom mit einer Stimme, die so dünn ist, als wäre sie ein kleiner Vogel.
    Ich zermartere mir das Hirn, um darin eine Erinnerung an meinen Bruder zu finden – eine andere Erinnerung als die schreckliche von damals, als er entführt wurde.
    »Nein, Mom«, muss ich schließlich gestehen, woraufhin ihre Tränen noch schneller fließen. Aber statt sie zu trösten, starre ich weiter das Bild an.
    Nichts. Aber irgendwie …
    Ist da doch was.
    Wie wenn man einen Witz erzählt und sich plötzlich nicht mehr an die Pointe erinnern kann. Aber man genau weiß, dass es eine gibt.
    Fürs Erste ist mir das genug.

47
    Am selben Abend parkt Luke vor einem Stacheldrahtzaun, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Kein Durchgang« hängt und der uns davon abhält, den steilen Hang runterzurollen. Er schaltet den Motor aus, und die Scheinwerfer erlöschen. Ich sehe die funkelnde Stadt unten im Tal, und durch das geöffnete Fenster atme ich tief die warme Abendluft ein.
    »Hast du mich hierhergebracht, um mich abzumurksen?«, necke ich ihn.
    »Ein andermal«, sagt er. »Das hier ist eine Wiederholung.«
    »Wovon?«
    »Von unserem ersten Date«, sagt er und sieht mir tief in die Augen. »Wir sind eingeschlafen, und du hast vergessen, dir vorher alles aufzuschreiben. Ich hab dir davon erzählt. Du hast wahrscheinlich über den Morgen danach gelesen …«
    Ich werde rot.
    »… aber du hast es nicht miterlebt. Deswegen machen wir es heute noch mal.«
    »Du bist der Wahnsinn«, sage ich. Luke grinst zufrieden und geht nach hinten, um es uns gemütlich zu machen und die Pizza zu servieren.
    Nach dem Abendessen und einem Film (ich liebe Star Wars !) schlägt Luke vor, dass wir uns die Sterne ansehen. Er schließt die Fenster, weil es langsam kühl wird, und wir kuscheln uns unter der Decke zusammen, die er vorausschauenderweise mitgebracht hat. Durch das Panoramafenster im Dach blicken wir in das Universum über uns.
    »Wir sollten noch mal drüber
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