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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett
Autoren: Ulrich Ritzel
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darin, Kuchen gab es keinen, nur irgendwelches Mürbegebäck, aber darauf kam es auch gar nicht an, er wollte nur für einen Augenblick entspannen und Atem holen.
    Merkwürdig - unzweifelhaft hatte Tabea ihn verlassen, hatte ihn allein sitzen lassen in dieser Stadt. Die rostfleckige Rückfront ihres Renault mit dem Aufkleber gegen den Irak-Krieg war das Letzte gewesen, was er von ihr gesehen hatte. Und doch war ihre Ausstrahlung noch immer gegenwärtig, unsichtbar wie Radioaktivität und tückisch wie jene. Ständig war er einer Art erzieherischer Missbilligung ausgesetzt gewesen, und nun hatte sie sich in ihn hineingefressen, da half keine Jodtablette und kein Crystal, helfen konnte da höchstens die Zeit. Er nahm einen Schluck Tee und verzog das Gesicht, außerdem war das Gebäck zu süß und mit zuviel Puderzucker überschüttet, so vertrieb die gegenwärtige Wirklichkeit die vergangene, das hatte auch etwas für sich.
     
     
     
    S elbst an diesem Morgen war in dem mit altertümlichen Eichenmöbeln vollgestellten Besprechungszimmer das elektrische Licht eingeschaltet. Ein Bunker, dachte Tamar und sah über die Köpfe ihrer über den Tisch gebeugten oder in sich versunkenen Kollegen hinweg zum Fenster und zu dem kleinen blauen Fetzen Himmel, der über den Dächern zu ahnen war.
    »Der Sonderzug aus Dresden trifft um 17.48 Uhr ein«, referierte Markert, der Leiter der Schutzpolizei, »und die Stadtwerke bieten zusätzliche Busse an. Bis zum Spielbeginn müssten die Leute bequem im Stadion sein.«
    »Ist das nicht ein bisschen knapp?«, fragte Kriminalrat Englin.
    »Die Bahn hat uns versichert, dass sie mit keinen Verspätungen rechnet.«
    »Seit wann können die rechnen?«, fragte Blocher vom Rauschgiftdezernat.
    Englin schüttelte missbilligend den Kopf.
    »Um die Wahrheit zu sagen«, fuhr Markert fort und schob herausfordernd seinen Unterkiefer vor, »wir haben das Zeitfenster bewusst eng gehalten. Nicht, dass sonst morgen die Fußgängerzone neu verglast werden muss.«
    Die Fans des Dresdner Fußball-Clubs, der am Abend im Ulmer Donaustadion zu einem Spiel der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals antreten sollte, waren in den letzten Wochen in der Rangliste der deutschen Hooligans auf einen der vorderen Plätze vorgestoßen.
    »Das verstehe ich, sicher doch. Auf der anderen Seite...« Englin zögerte, während sein Augenlid heftig zuckte, »auf der anderen Seite wollen wir das nicht dramatisieren.«
    Was ist das für eine neue Einsicht?, dachte Tamar und fing einen Blick von Blocher auf.
    »Wir werden präsent sein, aber vor allem besänftigend, freundlich... Deeskalation, verstehen Sie?«
    Blocher zog verächtlich seine Mundwinkel nach unten, und Markert starrte auf seine Notizen. »Ja«, sagte er widerstrebend, »natürlich verstehe ich das... Ärger kann es aber immer geben. Wir müssen darauf vorbereitet sein.«
    Die Konferenz wandte sich der Frage zu, wie viel Vernehmungsbeamte für den Fall bereitstehen sollten, dass sich die Gäste am Ende doch nicht sollten besänftigen lassen.
    »Trag mich auch ein«, sagte Tamar zu Markert. Es gab keinen Grund, warum sie etwas gegen Überstunden hätten haben sollen. Leider gab es keinen Grund. Merkwürdig nur, dass der Kriminalrat zu einem Einwand anzusetzen schien. Aber als sie sich ihm zuwandte, sah sie nur das Zucken des Englinschen Augenlids. Dann beendete der Kriminalrat auch schon die Lagebesprechung, weil er noch mit der Polizeiführung im Innenministerium telefonieren wollte.
     
    »Das ist nicht mehr meine Zeit, Mädchen«, sagte Blocher zu Tamar, als sie über den Flur zurückgingen.
    »Und warum nicht?«
    »Deeskalation, das ist doch den Mäusen gepfiffen... Wenn du willst, dass erst gar nichts eskaliert, dann musst du rechtzeitig den Gummiknüppel zeigen. Jedenfalls hab ich das noch so gelernt.«
    »Ich fürchte, alter Mann«, antwortete Tamar, »soviel Gummiknüppel, wie wir dazu bräuchten, haben wir gar nicht mehr.«
    Aber es war nicht das, was sie hatte sagen wollen. Wir sitzen in einem Bunker, das hatte ihr auf der Zunge gelegen, und wer im Bunker hockt, Blocher, der hat den Krieg schon verloren.
    Also, wer war es eigentlich, der hier wie ein alter Mann dachte?
     
     
     
    E r bezahlte und ging, er musste sich jetzt bewegen, vielleicht konnte er im Gehen seine Gedanken sortieren, die schon wieder durch das Raster fielen wie ein zu schnell abgespulter Film. Vorhin, vor der Kirche, hatte er sich für einen Augenblick befreit gefühlt, aller Mühsal
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