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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett
Autoren: Ulrich Ritzel
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wäre, das langsam und glitschig an einem hochkroch. Er kam an die Einmündung einer Seitengasse. An einem Backsteinbau, dessen Erdgeschoss gelb gestrichen war, sah er das Schild eines Salon fryzjerski, traute er sich das zu? Er blieb stehen, plötzlich spürte er sein Herz bis zum Hals klopfen, das war doch lächerlich, wie wollte er über die Grenze kommen, wenn ihn schon die alberne Frage, ob er sich die Haare schneiden lassen sollte, solchen Zuständen aussetzte.
    Ich kann mich nicht entscheiden, dachte er dann, aber die Panik... Ich darf nicht tun, was die Panik mir sagt, und die Panik sagt, ich soll weggehen, nein: laufen soll ich, sagt die Panik, so schnell wie möglich, also ist es genau das, was ich nicht tun werde. Er bog in die Seitengasse ein und stieß die Tür des Salons auf, ein Glockenspiel schlug an, ein einzelner Friseur erhob sich aus einem Sesselchen und legte eine Zeitung mit großen schwarzen und roten Schlagzeilen zur Seite und kam mit einem fragenden Blick auf ihn zu.
    » Can you cut my hair, please? « Er hatte keine Ahnung, ob das halbwegs richtig klang, hoffentlich sprach der Fryzjer kein Englisch, oder kein richtiges, und verwickelte ihn auch in kein Gespräch. Er setzte sich in den Frisierstuhl, der ihm angeboten wurde, der Friseur legte den weißen Umhang um ihn, zu spät bemerkte er, dass man durch die Fensterscheibe des Salons hereinschauen konnte, er saß also hier im weißen Umhang wie auf einem Präsentierteller, allen Blicken ausgeliefert und nicht zuletzt diesem Menschen, der sich nun Schere und Kamm gegriffen hatte und ihn im Spiegel auffordernd ansah, als erwarte er nähere Anweisungen... Er betrachtete den Friseur und sich selbst, sein Spiegelbild missfiel ihm, und plötzlich missfielen ihm auch seine nach hinten fallenden blonden oder besser: seine strohgelben Haare, und es missfiel ihm auch der magere Bart, der ihm vom Kinn hing, das Missfallen kam ihm gerade recht, es lenkte ab.
    » Short «, sagte er und hob die Hand und zeigte eine Entfernung zwischen Daumen und Zeigefinger an, die vielleicht vier Zentimeter betragen mochte. Dann fuhr er sich mit der Hand den Bart entlang:
    » Away. «
    Der Friseur nickte und machte sich schweigend an die Arbeit. Sein Kunde sah ihm zu und hörte das gleichmäßige Klappern der Schere, er suchte nach einem Wort, um dieses leicht metallisch reibende Geräusch zu beschreiben, das von den beiden Scherenblättern kam, kein Klappern, Unsinn, es so zu nennen, Unsinn auch, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, aber das war noch immer besser, als anderes zuzulassen, er würde sich jetzt verändern, in wenigen Minuten, im Spiegel sah es so aus, als sei es zwanzig vor eins, also war es vermutlich zwanzig nach elf Uhr, um halb zwölf würde er ein anderer sein, nicht nur äußerlich, sondern jemand, der es ausgehalten hatte, sich in diesen Stuhl zu setzen und sich in diesen Umhang wickeln zu lassen, jemand also, der die Panik hatte an sich abtropfen lassen wie ein paar Regentropfen von der Sommerhaut, er musste sich nicht einmal schütteln, nur, was hatte dieser Friseur zu klappern und zu tun ohne Ende?
     
     
     
    M ehrmals hatte Tamar versucht, in Krakau anzurufen, aber jedes Mal war nur ein kurzes Klicken zu hören gewesen, und eine Tonbandstimme hatte ihr auf Polnisch etwas erklärt, von dem sie gerade soviel verstand, dass sie die gewünschte Teilnehmerin nicht erreichen könne. Und auf die SMS, die sie Hannah geschickt hatte, war keine Antwort gekommen und vermutlich auch keine zu erwarten. Hannah war seit ein paar Tagen in London und bereitete eine Ausstellung vor, was zugleich bedeutete, dass sie nichts und niemanden und vor allem kein Mobiltelefon an sich heranließ.
    Mit einem Anflug von Resignation zog die Kommissarin ihr Notizbuch hervor und schlug die Nummer der kleinen Londoner Galerie nach, in der die Ausstellung stattfinden würde. Diesmal kam eine Verbindung zustande, die Frauenstimme, die sich meldete, war von kultivierter eisgekühlter Freundlichkeit, die noch um zwei oder drei Grade zurückgefahren wurde, als Tamar ihren Wunsch vorbrachte.
    Es tue ihr sehr leid, aber Miss Thalmann sei nicht zu stören.
    Doch, antwortete Tamar. »Sagen Sie ihr meinen Namen und dass es ein Problem in Krakau gibt. Es ist dringend, dass Sie es ihr sagen.«
    Sie wartete, noch ärgerlicher als zuvor. Irgendwann einmal, in New York, war eine Ostküsten-Schnepfe ganz hingerissen gewesen von Tamars Englisch, und zwar deshalb, weil sie - die Schnepfe -
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