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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett
Autoren: Ulrich Ritzel
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erkennbares Widerstreben. Der Umschlag war dünn und fühlte sich an, als sei nur ein einziges Blatt darin. Die Adresse:
    An die Kriminalkommissarin Tamar Wegenast, Neuer Bau, Ulm/Donau
    sah aus, als sei sie mit einem Computer geschrieben worden.
    »Ja«, sagte Tamar, »sieht wohl so aus.«
    Schaufler hatte sie beobachtet, nun blickte er weg. »Es ist die schiere Ohnmacht«, sagte er. »Sonst können die nichts.«
    »Wer weiß das schon«, antwortete sie und ging in ihr Büro. Es war leer, denn ihr Kollege Markus Kuttler feierte Überstunden ab. Für einen oder zwei Augenblicke hielt sie den Umschlag in der Hand, als überlege sie, ob sie ihn nicht einfach in den Papierkorb werfen solle. An ihrem Telefon blinkte der Anrufbeantworter, aber es war nur eine Nachricht aufgezeichnet: Staatsanwalt Desarts bat um Rückruf. Sie setzte sich, legte den Umschlag ab und wählte, fast sofort meldete sich Desarts. Es sei schön, dass sie so schnell zurückgerufen habe, sagte er, aber es sei nicht eilig gewesen.
    »Eine Information wegen der Sache Berisha, nichts weiter.«
    Azlan Berisha war vom Landgericht wegen Zuhälterei und Menschenhandel zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
    »Sein Anwalt hat mir gerade mitgeteilt, dass Berisha auf Rechtsmittel verzichtet.«
    »Und was ist mit Ihnen?«, fragte die Kommissarin zurück.
    »Wir können mit dem Urteil leben«, kam die Antwort. »Für ein paar Monate mehr gehen wir nicht in Revision. Das wäre auch kaum im Interesse dieser Kwiatkowski oder wie sie heißt...«
    Tamar Wegenast verzog das Gesicht. Sie hätte zu dem Strafmaß einiges zu sagen gehabt. Aber Desarts hatte Recht. Wenn das Urteil erst einmal rechtskräftig war, würde auch für die Hauptbelastungszeugin das Leben etwas einfacher. Vielleicht würde es das.
    »Sie ist doch jetzt wieder in ihrer Heimat?«
    »Jedenfalls ist sie wieder in Polen«, antwortete die Kommissarin. »Sie hat in Krakau fürs Erste eine Unterkunft und einen Aushilfsjob gefunden.«
    »Schön«, meinte Desarts. »Damit hätten wir doch alles wieder ins Lot gebracht.«
    »Sind wir nicht alle Pfadfinder?«, sagte Tamar, verabschiedete sich und legte auf. Der Umschlag lag noch immer auf ihrem Schreibtisch.
     
     
     
    K ein Gottesdienst, niemand psalmodierte. Ein dunkles Kirchenschiff, der Geruch nach Weihrauch, im Chor ein Glasfenster, durch das strahlend die Sonne fiel, eine Heilige Jungfrau Maria, die so aussah, wie sie in Sossenheim oder Höchst auch aussehen mochte, falls sie dort in den frühen Fünfzigern eine Marienkirche gebaut hatten.
    Die jüngere der beiden Frauen kniete vor dem Durchgang zum Chor. In den Bankreihen weiter vorne saßen ein Dutzend oder mehr Leute, schweigend, die meisten mit gesenktem Kopf, rechts außen die Frau mit dem Pelzkragen. Der Mann trat ein wenig zur Seite, im Seitenschiff rechts sah er zwei Schränke aus dunklem Holz, jeder mit zwei Türen, die Türen hatten kleine Fenster, die aber verhängt waren. Nur an dem - zum Chor hin gesehen - vorderen Schrank brannte eine kleine Lampe. Er kam ein paar Schritte näher, natürlich sind das keine Schränke, dachte er dann und zog vorsichtig an der ersten Tür. Zu seiner Überraschung öffnete sie sich, er schlüpfte hinein und kniete sich auf das dafür vorgesehene Brett, weil die enge Kabine keine große Wahl für eine andere Haltung ließ.
    Er war überzeugt, dass ihm auf der Stelle der Geruch aller kleinen lässlichen lausigen Sünden in die Nase steigen müsse, ein Geruch wie von Unterhosen, die brettsteif sind von getrocknetem Sperma. Aber nichts. Stickig roch es, weiter fiel den Ganglien nichts dazu ein, vielleicht war er auch zu sehr damit beschäftigt, die Tüte unter dem Kniebrett so zu verstauen, dass sie dort eine Zeitlang unbemerkt liegen bleiben mochte. Doch das Ding darin sperrte sich, es war zu groß, er musste sich dazu zwingen, die Tüte in beide Hände zu nehmen und abzutasten, welches die schmalere Seite war, so dass er es wenigstens ein Stück weit unter das Brett schieben konnte, und während er das tat, spürte er eine glatte Fläche und dann unerwartet einen Vorsprung.
    So plötzlich, als hätte er einen Schlag gegen den Magen bekommen, fiel ihn Übelkeit an, gleich würde er sich übergeben müssen. Er schloss die Augen, hob den Kopf und versuchte, tief einzuatmen, aber die Luft war zu stickig oder seine Kraft reichte nur für ein paar lausig flache Atemzüge. Mühsam richtete er sich auf, seine Knie zitterten, und kalter Schweiß brach ihm
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