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Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Verena Wyss
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in die Kirche, wenn auch mein Vater
sich dort zeigt und mit Wilma und mir seine Familie vorführt. Zu viele Menschen
dort sind unglaublich aggressiv.
     
    Wer seine Andersartigkeit markiert,
findet sich schnell in einer Opferrolle wieder. Vielleicht bin ich listig, gerissen,
trickreich. Vielleicht bin ich in meinem Charakter die Tochter meines Vaters, des
mächtigen Jurek Kalla. Zumindest trage ich ganz sicher kein Handy mit mir herum.
Ich weiß doch, dass mein Vater jederzeit von jedem seiner Leute ganz genau weiß,
wo er sich befindet und mit wem. Diese Geilheit auf das jeweils neuste Modell ist
etwas für ganz Dumme. Wie Facebook und Twitter. Du präsentierst dich, jeder kann
dich jederzeit pflücken. Genauso ist es, wenn du auf deinem PC schreibst, die ganze
Welt liest mit. Ich bin gut mit dem PC. Besser als gut. Damit trickse ich sie alle
aus, doch das zeige ich nicht, meine Schulkollegen sähen darin doch nur den Nutzen,
PCs von Lehrern zu hacken und bevorstehende Klausurarbeiten herunterzuholen oder
gar Schulnoten zu verändern. Für mich wäre das ein Kinderspiel, doch es wäre ein
Verrat an mir. Ich sitze stundenlang an meinem PC, andere lösen Sudokus.
    Auch äußerlich
unauffällig, kein Make-up, und die glanzlosen Haare nach hinten gebunden. So lande
ich kaum auf den Handys der Gleichaltrigen, werde nicht ins Netz gestellt, und wenn,
steht mein Name nicht dabei. Ich interessiere niemanden.
    Ich denke,
Wilma überschätzt die Position unserer Familie und fährt deshalb ein kleines Japaner-Auto,
so wie mein Vater einen hellgrauen Luxus Citroën Station fährt, ein komfortables
Auto, das nicht auffällt.
    Ich traue
Wilma zu, dass sie sich mein Notizbuch einfach vornehmen würde, fände sie es. Sie
schnüffelt in meinen Sachen, unter dem Vorwand ihrer Verantwortung.
     
    Ergänzung: Es muss ein Geruch um
mich sein, eine Ausdünstung, etwas wie ein Babygeruch, eine Schwingung, die ich
ausstrahle, die andere unbewusst wahrnehmen. Ich reagiere anders als die meisten
auf beinahe alles. Ich denke, meine Nerven sind anders strukturiert, vielleicht
rieche ich auch etwas anderes, wenn ich einen Kuchen rieche, höre die Stimmen anders,
wenn Menschen reden, sehe Farben anders. Natürlich sage ich rot zu Rot, wie alle
anderen. Doch ich sehe die Farben beweglich, mehrdimensional würde ich heute sagen.
Sie reproduzieren nicht nur Empfindungen in meinem Kopf, sie selbst haben etwas
wie Empfindung, sind fast wesenhaft, seelenhaft. Niemand, den ich kenne, empfindet
das so. Doch ich sehe exakt. Ich sehe auch Menschen anders, sehe etwas Zusätzliches
an ihnen, sie lösen bei mir eine Empfindung aus, die mit diesem Zusätzlichen zusammenhängt.
Ich kenne ihre wirklichen Gefühle und Absichten, weiß, wenn sie etwas anderes denken
als das, was sie gerade sagen. Die meisten Menschen lügen das Blaue vom Himmel herunter.
     
    Mein Vater ist ein totaler Egomane,
der die ganze Welt nach einem einzigen Punkt ausgerichtet sieht, und dieser Punkt
liegt in seinem Bauchnabel. Andere Standorte als seinen eigenen gibt es nicht. Wer
weggedrückt oder zermalmt wird, war eben am falschen Ort. Darum ist er in seinen
Geschäften so erfolgreich, wir sind reich.
    Das Notebook
wird zeigen, im Lauf der Zeit, ob ich meinen Maßstäben gerecht bleibe oder ob sich
das irgendwann nach der Pubertät legen wird, ob ich so werde, wie Wilma und mein
Vater dies wünschen.
    Dann wäre
mein Leben von heute aus gesehen nicht lebenswert.
     
    Geschriebenes zeigt. Fakten lassen
sich aufschreiben. Ich will mein Leben nicht verträumen. Träumer werden manipuliert.
    Von heute
an schreibe ich, weil Wilma gestern, in Vaters Auftrag, etwas verschlüsselt doch
im Effekt sehr deutlich, wie sie es eben kann, mit einem unethischen Vorschlag gekommen
ist. Unsere Deutschlehrerin ist klug. Sie redet von Werten. Es war auch dreist von
Wilma. Ich habe so reagiert, wie es Frau Gödel für das Verhalten in Grenzsituationen
riet, nämlich gar nicht, weder Ja noch Nein. Nicht nur wegen der Werte. Ich stehe
dann irgendwie darüber, und es ist mir alles gleich.
    In Deutsch
interessiert mich der Unterricht, doch das gebe ich nicht preis. Im Faschismus wie
im Kommunismus gehört das zum System, was Wilma von mir verlangt, es heißt bespitzeln.
Jemand, der nichts Böses vermutet und dir vertraut, wird ausgehorcht, dann wird
dies heimlich einem Dritten mitgeteilt, zum Schaden des Bespitzelten.
    Zum Spitzeln
kann man erpresst werden. Wer nicht direkt erpresst wird, vielleicht sogar
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