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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab
Autoren: Meister Derek
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sich nach seinen zwei Begleitern um. Wilde aus dem Wald. Sie haben Moos im Haar und sind ganz schwarz …
    Marek zog die Armbrust auf seinem Rücken straff, lächelte matt zu Sinje, die mit dem Schwertblatt ihren Fuchs antrieb. Das Pferd sah schlimm aus, hatte Schaum vor dem Maul vor lauter Anstrengung. Sie kontrollierte die Klinge, bevor sie die Waffe zu ihren Säckchen an die dicke Kordel steckte, die ihr dreckiges Surkot umschloss.
    »Kerkrings Männer«, meinte Rungholt ruhig. »Wir haben bloß Kerkrings Männer angegriffen. Ein Richter soll Recht sprechen, tut er es nicht, ist er kein Richter. Dat bose vermeide unde achte de ryte, Marek. Dat bose vermeide …«
    »Und du vermeidest es?«
    »Ich bin das Böse, Marek.« Er lächelte seinen Freund an. »Seinem Schicksal kann man nicht entkommen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, trieb Rungholt seinen Kaltblüter voran. Endlich hatte der Schlick sie freigegeben. Der Rappe schnaubte, als sie die letzte Baumreihe passierten. Rungholt mahnte ihn zur Ruhe, klopfte seinen Hals, wie es sein Kapitän ihm beigebracht hatte. Er hasste diese Tiere noch immer. Zu groß, zu umständlich, zu kräftig.
    Der Nebel kroch hier kaum höher als zu den Schenkeln der Pferde. Rungholts Blick wanderte den Waldrand entlang zum Hüxtertor. Wie sie gedacht hatten, war dieses Tor kaum bewacht. Die Riddere sorgten für die Sicherheit beim Walfisch. Und für Kerkrings Wohlergehen.
    Rungholt lächelte zufrieden. Sein Blick schweifte hinüber zum Wasserspiel. Es drehte sich, die Bleichwiesen standen gänzlich unter Wasser. Die Wakenitz war auf das Dreifache ihrer Breite angeschwollen. Sein Blick glitt am Dom mit seinen beiden Westtürmen vorbei, am Turm der Aegidienkirche, an der Petrikirche, im Norden zum Turm von Jakobi und schließlich zu den Zwillingstürmen St. Mariens, die hinter dem imposanten Bau des Rathauses gerade noch zu erahnen waren.
    Lübeck. Stadt der sieben Türme. Stadt der Schlächter und Mörder. Stadt des Unrechts.
    Ich kehre heim.
    Er atmete die klamm-feuchte Luft ein und schmeckte den Schlamm auf seinen Lippen. Erhaben und mächtig lag die Stadt mit ihren Backsteinbauten vor ihm. Wie eine Insel im Meer aus Morast.
    Ich bin zurück, stellte er ohne Freude fest. Ich kehre heim.
    Vor seinem inneren Auge tauchte die Töversche auf. Er hatte immer gedacht, in solchen erhabenen Momenten, wenn einem die Geborgenheit der Heimat die Gedanken wärmt, Alheyd vor Augen zu haben, Mirke, seine Enkelin Marlein. Oder Irena. Sicher Irena. Aber jetzt sah er eine alte Frau. Eine Greisin mit schwarzen Zähnen, die ihn irre anlächelte.
    Es wird dein Tod sein, Rungholt.
    Auch Rungholt musste lächeln. So wenig er an Zauber glaubte, musste er ihr doch Recht geben. Das war sein Tod. Es war sein Tod und seine Wiedergeburt.
    Im Nebel formte sich ein Gesicht.
    Er. Das war er. Er küsste den Teufel nicht, nein … Er steckte dem Teufel seine Zunge in den Mund.
    Rungholt biss die Zähne zusammen. Das war keine Einbildung. Er hatte diese Schatten in der Hütte der Knochenfrau gesehen. Der Schnitt der Töverschen in seiner Handfläche juckte. Wie sollte er verheilen, wenn er ständig zupacken musste?
    Rungholt griff nach seinem Kopfverband und riss ihn sich herunter. Mit festem Blick auf Lübeck schlang er das besudelte Scharpie um die Hand. Besser, es schützte seine Faust als seinen Schädel.
    »Alles gut? Keine Schmerzen?«
    »Keine Schmerzen.« Rungholt nickte Sinje zu. Seine Augen nicht von den Türmen, der Mauer, den Häusern nehmend, klappte er seine Gnippe mit geübten Schnalzern auf und zu. »Finden wir einen Weg in die Stadt – und dann einen in Kerkrings Amtsstube. Schreiben wir ein letztes Kapitel in mein Sündenbuch.«
    »Daß es keyn kuowe ablecket, noch keyn krae außkratzet«, pflichtete Marek ihm bei.
    Rungholt schwieg. Du hast Recht, dachte er. Wir ritzen es mit Blut in mein Sündenbuch. Und keine Kuh, keine Krähe wird es jemals wegwischen können.
    Er sagte kein Wort. Er brummte.
    Mit einem Mal kehrte Ruhe ein. Das Rauschen der Blätter, das Rascheln des Grases, das Gepladder der Pfützen. Das Tropfen versiegte allüberall.
    Rungholt sah zum Himmel hoch. Die Türme und Mauern der Wrasenstadt waren niedergebrannt.
    Der Regen schwieg.
    Sonne stach durch die Wolken.
    Ich bin das Böse, dachte Rungholt.

Nachwort
    (Achtung, das Nachwort verrät Wendungen des Buchs!)
    In den Jahren 1380 und 1384, bloß zehn Jahre bevor dieser Roman spielt, konnte der Lübecker Rat nur mit Mühe einen
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