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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab
Autoren: Meister Derek
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bringen, wo sonst Gartengerät, Baumaterial und zwei Heuwagen lagerten. Noch immer war der Rat uneins, ob man Massengräber ausheben sollte – und solange die Herren keine Entscheidung trafen, hatten die Toten eben zu warten. Und langsam zu verrotten. Ein weiterer Blitz tauchte die aufgereihten Körper in sein weißes Licht, ließ Schatten an die Wände springen.
    Die Brüder und Schwestern des Hospitals hatten die Verstorbenen auf rohe Holzbretter geschichtet. Der Koggenbauer Lüdje hatte sie dem Hospital geliehen – angeblich aus Nächstenliebe. Rungholt hatte jedoch gehört, dass sich Lüdje von den verwesenden Körpern ein gutes Einfetten der Schiffsplanken erhoffte. Die Körperfette, die bei dieser Feuchtigkeit langsam übers Holz sifften, ölten es angeblich gut. Rungholt hielt das für ein Ammenmärchen, aber so versuchte jeder, noch aus dem Tod seinen Profit zu schlagen. Kein Wunder, denn durch die Überfälle der Serovere waren der Handel und damit der Bedarf an Schiffsreparaturen oder gar neuen Koggen vollkommen zum Erliegen gekommen.
    »Gallberg«, fuhr Rungholt den Mann hinter sich ungeduldig an. »Die Lampe. Verflucht. Gallberg!«
    Das Knistern des Tannenzweiges vermischte sich mit dem Trommeln des Regens. Rungholt wollte gar nicht daran denken, wie sein Keller aussah. Sicher war er bereits vollgelaufen. Gestern Abend war ihm das verfluchte Wasser auf den Kopf geregnet. Es war durch den Himmel seines Bettes direkt auf seine Stirn getropft. Der Sturm hatte eine Reihe Dachschindeln heruntergerissen. Hoffentlich hatte Contz die Felle ordentlich an den Sparren angebracht und alles abgedichtet.
    Endlich drückte der gedrungene Mann Rungholt eine Tranlampe in die Hand. Der Geruch von Schweiß und zu viel Bier wehte Rungholt entgegen. Er riss Gallberg die Lampe ruppig fort und zog der Frau das linke Augenlid hoch. Indem er ihr einen Holzspatel auf das Auge drückte, klappte er es um.
    »Hmmm«, brummte er. »Zehn und auf der anderen Seite …« Er untersuchte auch die Innenseite des anderen Liddeckels. »Neun … Nun denn. Und die Augen … Ah ja … Geplatzte Äderchen am Rand.« Konzentriert ließ er den Schein der Lampe zu ihrem rechten Ohr gleiten. »Hier keine Flecken … Gut, haben wir das schon mal.«
    Das Licht streifte die Wangen der Frau. Sie hatte feine Züge, einen kecken Leberfleck über dem Mundwinkel. Ihre Wangen fielen ein, aber das Licht des brennenden Robbenfetts schmirgelte ihre Haut eben. Die Hautfarbe jedoch war weniger appetitlich. Ein Hauch nur, doch das Bleiche, wie Rungholt auch im schlechten Lampenlicht erkennen konnte, ging ins Blau und nicht ins Weiß. »Bist so sauber. Siehst so geputzt aus«, sprach er zu sich selbst. »Hast vor deinem Tod das Badhaus besucht?«
    Ihre Haare und ihre schlichte Tunika waren nass, aber er glaubte nicht, dass es der Regen gewesen war, der sie derart gründlich gewaschen hatte. Behutsam strich er ihre blonden Haare auseinander und versuchte, eine Verletzung zu finden. Vielleicht die Spur eines Knüppels, den Stich eines Messers …
    Lediglich sieben Tannennadeln fand er in ihrem Haar. Stammten sie von Gallberg? Ist der Hospitalmeister mit seinen Zweigen unachtsam gewesen, hat sie herumgewedelt, als er den Leichengang entlanggelaufen ist?
    »Verfluchte Entleibte«, brummte Rungholt und stellte die Tranlampe zwischen ihren nackten Füßen ab.
    »Sie hatte keine Schuhe an«, mischte sich Eric Dartzow, Rungholts zweiter Begleiter, ein. Der Bürgermeister hielt sich ein besticktes Seidentuch vor Nase und Mund und trat widerwillig durch den Tannenrauch näher an die Schiffsplanke heran. »Als der Böttcher sie fand, hatte Agnes keine Schuhe an.«
    »Es regnet seit Tagen. Vielleicht wollte sie ihre Schuhe nicht dreckig machen? Wie lange war sie fort?«
    Der Bürgermeister seufzte. »Zwei Wochen. Vorletzten Dienstag wurde sie das letzte Mal gesehen. Auf dem Schrangen bei den Litten der Fleischhauer. Zumindest haben meine Büttel das berichtet. Sie haben sich auf dem Markt umgehört.«
    »Fleischhauer? Hm. Haben die nicht geschlossen? … Und dieser Böttcher? Es ist seine Magd, ja? Die Magd des Böttchers …« Er fand den Namen nicht, obwohl Dartzow ihn genannt hatte, als er Rungholt auf dessen durchnässtem Dachboden aufgesucht und ihn gebeten hatte, sofort mitzukommen.
    »Claas Meenkens. Aus der Hüx. Ja. Sie heißt Agnes. Und sie ist erst seit einem Dreivierteljahr Meenkens’ Magd. Ich habe sie ihm vermittelt.«
    Rungholt warf Dartzow einen fragenden
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