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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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sah ich schon Fesseln an seinen Beinen. Ich wollte zu ihm gehen. Die Polizisten aus den drei Streifenwagen ließen uns jedoch nicht zusammenkommen, was offensichtlich Absicht war, obwohl sie sich Mühe gaben, das zu verschleiern. Schließlich ging Bobby wie alle anderen auch zum Fluß.
    Inzwischen kamen immer mehr Autos herbei, und bald bildeten sie am Ufer eine lange Kette. Die Männer, die ausstiegen, waren hauptsächlich Farmer oder auch kleine Geschäftsleute, jedenfalls nahm ich das an. Einige von ihnen hatten lange Seile mit Greifhaken mitgebracht, und erst jetzt verstand ich den ganzen furchtbaren Sinn des Satzes, den ich, vor allem im Sommer, immer wieder in den Zeitungen gelesen hatte: »Der ganze Fluß wurde nach der Leiche abgesucht.«
    »Ist das nun die Stelle?« fragte der Polizist mich noch einmal.
    »Hier muß es gewesen sein«, sagte ich. »Ich bin ziemlich sicher.«
    Die Männer schwärmten mit ihren Seilen und Greifhaken aus. Der Fluß war an dieser Stelle nicht sehr tief, und das Wasser reichte ihnen bis zur Hüfte oder höchstens bis knapp an die Brust. Der Fluß kümmerte sich nicht um sie. Ich sah zu, wie die Ketten und Seile und Drahtnetze immer wieder leer aus dem Wasser gezogen wurden. Immer wieder sah es so aus, als hätten die Haken unter Wasser etwas gepackt und als ließen sie es wieder los, wenn sie hochgezogen wurden. Ich saß mit dem Polizisten, der mich hergefahren hatte, unter einem Busch und beobachtete, was die Männer in ihren Wasserstiefeln gerade taten, und mir fiel der Ring an Drews Finger wieder ein und die Gitarrenschwielen an seiner Hand, als ich ihn in die Tiefe gleiten ließ.
    Jemand näherte sich uns. Scheinbar zufällig, aber doch absichtsvoll. Ich wandte mich dem Polizisten zu, als wolle ich ihm etwas sagen, damit es so aussah, als messe ich dem Nahen des ändern keine Bedeutung bei.
    »Entschuldigen Sie«, sagte der Mann, »kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«
    »Natürlich«, sagte ich. »Setzen Sie sich doch zu uns.«
    Das tat er. Wir gaben uns die Hand. Es war ein alter, hagerer Mann mit Narben im Gesicht und braunen Wieselaugen. Er hatte seinen Hut schief nach hinten geschoben, wie es die Landleute oft tun; mich amüsierte das immer, wenn ich es sah, und auch diesmal lächelte ich fast, griff dann aber nach einer Zigarette, die er mir anbot, und steckte sie mir an.
    »Sind Sie sicher, daß das hier die Stelle ist?«
    Ich sagte: »Ziemlich. Ungefähr hier müßte es gewesen sein. Entweder hängt er da in den Felsen, oder er ist weiter flußabwärts, wie weit weiß ich natürlich auch nicht.«
    »Sie sagen, Sie sind den Fluß hier in einem Kanu runtergekommen?«
    »Zuerst hatten wir zwei Kanus.«
    »Warum?«
    »Warum was?«
    »Warum haben Sie das überhaupt gemacht?«
    »Oh«, sagte ich zögernd und war jetzt selbst um eine Antwort verlegen. »Ich glaube, wir wollten nur mal ein bißchen raus. Wir arbeiten alle in der Stadt, und wenn man die ganze Zeit im Büro hockt, will man mal raus. Unser Freund, der sich das Bein gebrochen hat, war vorher schon mal zum Angeln hier. Er meinte, wir sollten uns die Gegend hier mal ansehen, bevor sie den Fluß hier stauen und nichts mehr davon übrig ist. Das war alles. Sonst hatten wir eigentlich keinen Grund hierherzukommen. Es sollte nur mal ‘ne Abwechslung für uns sein.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte er nach einer Weile. »Sie wußten natürlich nicht, worauf Sie sich da eingelassen haben, was?«
    »Weiß Gott nicht«, sagte ich. »So haben wir es uns jedenfalls nicht vorgestellt.«
    Er schien nachzudenken.
    »Sehen Sie das große Felsplateau da drüben? Warum sind Sie denn nicht ausgestiegen und haben Ihr Kanu rübergezogen, anstatt es an dieser gefährlichen Stelle zu riskieren? Warum sind Sie überhaupt da durchgefahren?«
    »Dahinten ist die Strömung ziemlich reißend. Und wir dachten, schließlich seien das hier nur die letzten Stromschnellen. Wir hatten da schon zuviel Geschwindigkeit. Und es sah zunächst gar nicht so schlimm aus, wie es dann wirklich war. Wir konnten ja nicht sehen, wie tief es runterging, bis wir direkt dran waren. Und dann hatten wir so viel Fahrt drauf, daß wir nur noch drübergehen konnten. Und dann stürzten wir abwärts, kenterten und fielen ins Wasser.«
    »Dann kann also Ihr anderer Freund nicht weiter oben in den Felsen liegen, oder?«
    »Nein«, sagte ich. »Deshalb habe ich ja auch gesagt, daß sie hier nach ihm suchen sollen. Flußaufwärts in den Felsen kann er nicht liegen,
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