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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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Ermittlungsapparat zu funktionieren, ich stellte mir vor, wie IBM-Maschinen pausenlos Lochkarten sortierten und dabei alle Einzelheiten miteinander verglichen und überprüften; ich war nicht sicher, ob er nicht mit J. Edgar Hoover, dem FBI-Chef persönlich, sprach. Diesem Apparat würde unsere Geschichte nicht standhalten.
    Der Polizist kam zurück und setzte sich wieder. Die Tür auf seiner Seite ließ er offen. Gleich darauf kamen zwei andere Streifenwagen. Eine kleine Menschenmenge sammelte sich an: erst wandte sich ein Kopf nach uns um, dann noch einer, und schließlich musterten uns alle mindestens einmal, die meisten mehr als einmal. Ich saß ganz ruhig da in meiner neuen ländlichen Aufmachung. Jedenfalls konnte ich beweisen, daß ich sie bezahlt hatte. Es tat richtig gut, von so vielen Unverdächtigen zu Unrecht verdächtigt zu werden. Einer der Polizisten aus einem der anderen Streifenwagen unterhielt sich mit einem Einheimischen über Straßen, die den Fluß hinaufführten. Ein paar Minuten später waren wir abfahrbereit. Ich hielt nach Bobby Ausschau; er saß in einem der anderen Autos. Als wir abfuhren, kam noch ein Polizeiwagen, überholte uns, und ich sah darin einen mürrisch aussehenden alten Mann sitzen, den Alten, auf den ich gewartet hatte. Offenbar sollte irgendwo flußaufwärts ein Lokaltermin stattfinden. Meine Bartstoppeln juckten, und ich begann noch einmal scharf zu überlegen.
    Wir verließen den Highway und fuhren einen Feldweg entlang, der an einem Farmhof und dann an einem Hühnerhof vorbeiführte. Eine Frau fütterte gerade die Hühner. Sie hatte sich gegen die Sonne ein dickes Kopftuch umgebunden, aber es sah aus, als wollte sie sich gegen Kälte schützen. Wir fuhren weiter, wurden aber immer langsamer. Noch war nichts passiert, noch war keinem von uns etwas passiert. Man hatte keinerlei Beschuldigungen vorgebracht und noch nichts entdeckt. Meine Lügen schienen immer besser, wurden immer wahrer. Die Leichen im Wald und im Fluß rührten sich nicht. Wir fuhren im ersten Wagen. Wir durchquerten ein paar helle Kornfelder, dann einen armseligen Wald mit kleinen Kiefern, die wie Terebinthen aussahen. Ich horchte auf den Fluß, aber ich sah ihn, ehe ich ihn hören konnte. Je näher wir ihm kamen, desto schlechter wurde der Weg. Hier konnte es sein. Dann krochen wir förmlich bis zum Fluß.
    »War’s ungefähr hier?« fragte mich der Polizist.
    »Nein«, sagte ich und erwachte aus meinem Halbschlaf. »Es war weiter oben. Wir hätten bestimmt nicht den ganzen Weg von Oree zurückgelegt, um das Boot hier im ruhigen Wasser kentern zu lassen.«
    Er sah mich seltsam an, so glaubte ich jedenfalls, denn ich blickte angestrengt nach vorn, um den gelben Baum zu entdecken, und lauschte gleichzeitig auf das Geräusch der Stromschnellen; es war eigenartig, sich ihnen aus dieser Richtung zu nähern. Nach einer weiteren Stunde Fahrt über ausgewaschene Stellen, über Steine und Bodenrisse, die gerade noch von einem normalen Auto zu bewältigen waren – noch ein bißchen schlimmer, und man wäre nur im Jeep oder mit dem Landrover vorangekommen , sahen wir den Baum. Ich sah seine Farbe und dann die Wunden vom Blitz, und mein Herz klopfte, als wollte es herausspringen. Knapp einen halben Kilometer weiter flußaufwärts tosten die Stromschnellen; einige von ihnen konnte ich schon sehen, und sie waren weit schlimmer, als ich sie in Erinnerung hatte. Der Fluß fiel dort jäh zwei Meter ab, und die einzige Stelle, wo man mit einem Kanu durchkommen konnte, war ein Felstrichter, in den der ganze Fluß hineinzustürzen schien, donnernd und schäumend und dampfend, und es sah aus, als sei dort eine ungeheure Gewalt angekettet.
    Der Polizist zeigte hin. »Kann es sein, daß er dort liegt?«
    »Könnte schon sein«, sagte ich. »Vielleicht aber auch weiter flußaufwärts. Oder er hängt zwischen den Felsen. Aber ich glaube, wir müssen hier mit dem Suchen anfangen.«
    Wir stiegen alle aus und gingen aufeinander zu. Über die anderen Wagen hinweg beobachtete ich Bobby. Er stand da und bewegte sich kaum, während die anderen Männer ziemlich unbekümmert um ihn herumwanderten. Und seine Reglosigkeit in ihrer Mitte schien darauf hinzudeuten, daß er sich nicht so frei wie sie – oder überhaupt nicht – bewegen konnte. Ich glaube nicht, daß es außer mir noch jemandem aufgefallen war oder daß jemand es so auslegte wie ich, aber es machte mich nervös; er sah bereits wie ein Gefangener aus. Für einen Augenblick
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