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Flüsterherz

Flüsterherz

Titel: Flüsterherz
Autoren: Debora Zachariasse
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Die Kauert ist mal wieder krank. Das geht jetzt schon ’ne halbe Ewigkeit so. Aber bis die sich mal um ’ne Vertretung kümmern … Da lassen sie die Bibliothek lieber wochenlang zu.«
    »Aha«, murmelte ich und musterte den Jungen dabei verstohlen. Seine etwas dunklere Hautfarbe und das halblange, leicht gelockte Haar gefielen mir.
    »Ich heiße übrigens Jérôme«, sagte er und sah mich an.
    Irgendetwas lag in seinem Blick, eine Offenheit und Intensität, die mich völlig unvorbereitet traf.
    »Ähm, hi … i-ich bin Anna«, stammelte ich.
    Jérôme hob die Hand, als ob er mir zuwinken wollte. »Hi, Anna!« Er grinste. Ein Grübchengrinsen. »Bist du neu an der Schule?«
    Ich nickte. »Seit heute.«
    »Verstehe«, erklärte er mitfühlend.
    Wir schwiegen eine Weile. Er schien darauf zu warten, dass ich noch etwas sagte, aber mir fiel beim besten Willen nicht ein, was ich Kluges oder Witziges von mir geben könnte. Alles, was ich zustande brachte, war ein peinliches Fiepen. »Alle starren mich an. Das nervt.«
    Zu allem Überfluss spürte ich, wie mir langsam die Röte den Hals hinauf ins Gesicht stieg, und ich wollte nur noch weg.
    Jérôme schien mir meine Verlegenheit nicht anzumerken oder er ignorierte sie einfach. »An welcher Schule warst du vorher?«, fragte er.
    Ich holte tief Luft und zwang mich zu einer betont lässigen Körperhaltung. »Auf dem Kippenberg-Gymnasium in Bremen.« Und weil sich das in meinen Ohren wirklich einigermaßen
normal
angehört hatte, fügte ich schnell hinzu: »Jetzt sind wir aber aufs Land gezogen und deshalb musste ich die Schule wechseln.«
    Jérôme grinste. »Echt? Ich bin auch ’ne Weile in Bremen zur Schule gegangen.«
    »Ach so.«
    Ach so?
Geht’s noch? Was für einen Schwachsinn laberst du da eigentlich?
    Erneut entstand eine Pause zwischen uns. Ich gab vor, interessiert die Bilder an den Wänden zu betrachten, während Jérôme mit der Spitze seines linken Schuhs einen imaginären Stein hin und her rollte.
    Schließlich räusperte er sich, nickte mir kurz zu und sagte: »Dann mach’s mal gut. Vielleicht sieht man sich ja bei Gelegenheit.«
    »Ja, vielleicht«, bemühte ich mich, ebenso unverbindlich zu antworten.
    Geschafft! In letzter Sekunde erreichte ich den Schulbus. Ich hatte meinen ersten Tag an der neuen Schule hinter mich gebracht. Keuchend kramte ich meine Monatsfahrkarte aus dem Rucksack und zeigte sie dem Busfahrer. Der warf einen kurzen Blick darauf und nickte. Dann schaute er wieder nach vorn, startete den Motor und fuhr los.
    Schwankend bahnte ich mir einen Weg durch den schmalen Gang und ließ mich auf den erstbesten freien Platz sinken.
    »Puh, das war knapp«, sagte ich zu mir selbst.
    »Hi, Anna«, hörte ich plötzlich jemanden neben mir sagen.
    Ich wandte erstaunt den Kopf und blickte zum zweiten Mal an diesem Tag in Jérômes grinsendes Gesicht.
    »Oh, hi!«, sagte ich und bekam wie auf Kommando feuchte Hände.
    Bitte nicht, Anna. Mach dich nicht schon wieder total lächerlich!, beschwor ich mich.
    »Wohin musst du?«, fragte Jérôme.
    »Mahlhausen.«
    »Ach nee«, sagte er und lächelte verschmitzt.
    »Was ist?« Irritiert strich ich mir eine lange dunkle Strähne aus dem Gesicht.
    »Da wohne ich zurzeit auch«, erklärte Jérôme.
    »Wo denn genau?«, fragte ich überrascht. »Ich hab dich bisher noch nie dort gesehen.«
    Was einem Wunder nahekommt bei 532 Einwohnern, fügte ich in Gedanken hinzu.
    »Richtung Tönisberg. Das letzte Haus vorm Waldrand. Ist so ’n kleiner Hof.«
    »Ach, da bin ich mal dran vorbeigeritten. Hab mich schon gefragt, wer dort wohl lebt.«
    Schlagartig verdunkelte sich Jérômes Gesicht. So als ob jemand die Vorhänge zugezogen hätte. »Na, jetzt weißt du’s ja«, sagte er knapp.
    Was war denn mit dem auf einmal los? Hatte ich was Falsches gesagt?
    Na, dann eben nicht, dachte ich und kramte mein Geschichtsbuch hervor. Ich schlug es auf und versuchte, mich auf den Text über das Zeitalter des Imperialismus zu konzentrieren.
    »Hausaufgaben?«, hörte ich Jérôme nach einer Weile vorsichtig fragen.
    »Sieht ganz so aus«, brummte ich.
    »Wenn du Hilfe brauchst … Ich hab in der Zehnten ein Referat darüber gehalten. Das ist noch irgendwo auf meinem Rechner.«
    »Schön für dich.« Ich schaute nicht auf. »Aber ich denke, ich schaff’s auch allein.«
    Für den Rest der Fahrt herrschte Funkstille zwischen uns. Erst als der Bus in Mahlhausen anhielt, ich hektisch mein Buch in die Tasche warf und vom Sitz
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