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Flüsterherz

Flüsterherz

Titel: Flüsterherz
Autoren: Debora Zachariasse
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sich immer wieder über die Augen.
    Sharima war ganz in Schwarz. Ein Samtkleid mit Spitze und dazu Wildlederstiefel. Nur das Tuch um die Haare war lila.
    Als ich die beiden ansah, wurde mein Mund trocken. Ich brachte lediglich ein gepresstes »Mein Beileid« heraus. Meine Hände zitterten.
    Sharima nickte wie eine uralte müde Herrscherin und Jeff strich mir flüchtig übers Haar.
    Sam zog mich weiter. »Komm, Schwesterherz. Hast du gesehen, dass die Leute von MaiZZ auch da sind?«, flüsterte er. »Sie haben ihre Tournee extra wegen Jeff unterbrochen.«
    »Die wären besser weggeblieben«, sagte ich barsch.
    Die Leute um uns herum versuchten, die Fassung zu wahren: mit Taschentüchern, nervösem Gerede und manche sogar mit dummen Witzen. Tobias aus unserer Klasse flüsterte Tarik zu: »Treffen sich zwei Tote im Krematorium. Sagt der eine zum anderen: ›Warum wirst du so rot?‹ Sagt der andere: ›Weil meine Flamme hier ist.‹ «
    Ich tat, als hätte ich nichts gehört.

5
    Zwei schwarze Männer in schwarzen Anzügen schlossen den Sarg und die Trauerfeier begann. Jeff sagte ein paar Begrüßungsworte, dann aber brach er in Tränen aus und der halbe Saal mit ihm. Ich auch.
    Anschließend hielt JP eine bewegende Rede.
    Ich holte tief Luft und raschelte nervös mit meinem Zettel herum, denn nun war ich an der Reihe.
    »Ich möchte gern etwas sagen«, begann ich. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, gespannt, bedrückt. Noch ein tiefer Atemzug. »Tibby war meine Freundin, meine …«
    Ich zögerte und schluckte. Ich sah Eileen, die mir aufmunternd zulächelte. Mir wurde eng in der Brust und ich konnte nur mit viel Mühe weiterreden. »Tibby war meine Freundin. Ich habe ihr nicht helfen können. Das macht mich sehr traurig.« Ich versuchte, die Tränen zu unterdrücken, doch plötzlich ging es nicht mehr.
    Schnell, ein Taschentuch …
    Sam rettete mich. Er hielt mir die Hand hin und zog mich vom Sarg weg.
    Gleich darauf stand Fenz von MaiZZ dort, mit seiner Gitarre. In einer total zerlöcherten Jeans, einem roten Hemd und Cowboystiefeln. Er begann zu singen, ein wunderschönes Lied, während Tibbys Sarg langsam herausgetragen wurde.
    Jeff heulte wie ein Schlosshund und sogar meine Eltern weinten. Nur Sharima bewahrte Haltung. Groß und schwarz stand sie da, mystisch wie eine Göttin, das Gesicht versteinert vor Trauer.

Atome bestehen zu 99,9 Prozent aus Nichts und zu 0, 1 Prozent aus Etwas. Das habe ich neulich in Physik gelernt
.
    Wenn man mich auf die 0,1 Prozent zusammenballen würde, die etwas darstellen, dann bliebe nicht mehr als ein Sandkorn übrig, ein einziges kleines Stäubchen, wenn auch ein Stäubchen von 55 Kilo
.
    Tarik wollte es nicht glauben, aber ich fand die Vorstellung genial. Das müsste man mal allen Politikern und Top-Managern klarmachen: Leute, ihr besteht zu 99,9 Prozent aus Nichts, merkt euch das gut! Ihr seid nicht mehr als ein winziges Staubkorn im Weltraum
.
    Daran denke ich, während ich die weißen Seiten des Flüsterbuchs umblättere
.
    »Ich hab getan, was ich konnte, mehr ging nicht«, flüstere ich ihnen zu. »Ich bestehe zu 99,9 Prozent aus Nichts. Ich brauche nicht alles zu können.«
    Die Seiten rascheln zufrieden, als ich das Buch endlich zuklappe
.
    Anubis mit seinen goldenen Augen lächelt mir zu
.
    »Sie ist fort und kommt nie mehr wieder«, flüstere ich. »Und ich hab dich ihr nicht mehr geben können.«
    »Vergiss nie, was sie dir gegeben hat«, sagt er
.
    Er sagt es natürlich nicht laut, trotzdem höre ich ihn deutlich in meinem Kopf. Seine Worte sind sanft
.
    Vergiss nie, was sie dir gegeben hat.
    Ich nehme meine Geige von der Wand und spiele, bis meine Tränen alle sind
.
    Und dann endlich habe ich das Gefühl, dass ich nun Abschied von Tibby nehmen kann, auch wenn ich noch nicht weiß, wie
.

Mein Tod ist nicht dein Tod
    Abends im Bett kann ich nicht einschlafen. Ich muss wieder an Sharima denken, die in der Trauerhalle stand wie eine zu Eis erstarrte Göttin. Ich hole tief Luft, greife nach meinem iPhone und wähle ihre Nummer
.
    Als ich am nächsten Tag nach der Schule in den Laden komme, hängt sie ein Schild an die Tür: GESCHLOSSEN
.
    Wir gehen ins Café nebenan und sie bestellt zwei Cola
.
    »Wie geht’s dir?«, fragt sie. »Ich hatte schon früher mit dir gerechnet und hätte mich demnächst auch gemeldet.«
    »Ich … äh …«
    Ich … äh … hab mich nicht getraut,
denke ich
.
    »Für mich ist alles noch ganz unwirklich, Anna. Immer wieder denke ich, eines
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