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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche
Autoren: Kaja Evert
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gehen.
    Dieses Mal hatte Adeen Glück. Die Wachen suchten in Winkeln und Hauseingängen Schutz vor dem Wind, fröstelnd trotz ihrer Umhänge, und beachteten ihn nicht. Nur die Passkontrolle am Marktplatz riss ihm stumm die Kapuze vom Kopf und leuchtete ihm mit der Fackel ins Gesicht, um zu überprüfen, ob er wirklich eine Krähe war, wie seine Papiere besagten.
    Ja, es gab andere dunkelhäutige Menschen in Rashija, wenn auch nur wenige, meist Nachkommen von Erdgeborenen wie er selbst auch. Doch niemand sah aus wie er, mit Haut, so schwarz wie der Dreck am Straßenrand, und mit ebenso schwarzem Haar, das im Tageslicht sogar noch bläulich schimmerte. Nur seine Augen hatten die Farbe des Himmels – weil sie ständig am Himmel klebten. Das hatte Adeen die anderen Schreiber jedenfalls hinter seinem Rücken flüstern hören. Was hätte er darum gegeben, so hellhäutig zu sein wie Charral! Wie mochte es sein, nicht jeden Tag für ein Verbrechen, das seine Eltern begangen hatten und das jetzt ihm auf den Körper geschrieben war, gedemütigt zu werden?
    Als er die Rakashwurzeln eingekauft hatte und den Markt wieder verließ, war die Sonne bereits hinter den Türmen der Akademie versunken. Die Dächer leuchteten flammend rot, und zugleich zeigten sich die ersten Sterne. Unruhe zwang Adeen, seine Schritte zu beschleunigen. Er wollte Rasmi die Wurzeln so schnell wie möglich bringen, denn er konnte es kaum erwarten, das gestohlene Papier im Kerzenlicht auseinanderzurollen und den Pinsel anzusetzen. Geflügelte Schatten riefen nach ihm, Nebelkreaturen, die auf einen festen Körper warteten. Wenn er erst einmal die scharfen Formen der magischen Schriftzeichen aus seinem Geist geschoben hatte, die sich während der langen Tage in der Akademie in seinem Kopf festbrannten, wurde es ganz einfach. Alles konnte ein Geheimnis sein, eine Tür, die seinen Gedanken einen Ausweg bot – ein Schmutzfleck, Schimmel oder Nässe an einer Wand oder eine Wolke am Himmel. Vor Adeens Augen wurden sie zu Landschaften, Gesichtern, zu geflügelten Wesen.
    Immer die geflügelten Wesen. Auch in seinen Träumen verfolgten sie ihn, und jetzt dieser schwarze Flügel, der vorhin aus dem Nichts vor seinen Augen erschienen war … Manchmal glaubte er, dass er nicht mehr ganz richtig im Kopf sein konnte.
    Auf den Straßen von Rashija hasteten die meisten dahin, ohne viel auf die anderen zu achten. Mit gesenktem Kopf ließ sich Adeen von der Menge mitspülen. Seine Füße kannten den Weg zu Rasmis Quartier. Dass er von Zeit zu Zeit einen Stoß in die Rippen bekam oder ihm jemand auf die Zehen trat, bemerkte er gar nicht. Der Lärm der Straße verblasste. Im Geist tauchte er seinen Pinsel schon in die Farbe, die er aus Rost, Erde, Wasser und ein wenig Mehl zusammenrühren würde, und warf die Umrisse eines schwarzroten Vogels auf sein Papier: ein prachtvolles Tier mit aufgerissenem Schnabel und Schwingen, fast zu groß für das Blatt, ein freies Geschöpf, das kämpfen oder fliehen konnte, wie es ihm beliebte.
    »He, du schläfst wohl mit offenen Augen!«
    »Tut mir leid«, murmelte Adeen und rieb sich die Schulter, mit der er gegen den Rücken des Mannes geprallt war. Erst im nächsten Augenblick erkannte er die Stimme und den Blumenduft und riss erschrocken den Kopf hoch.
    Charral.
    Was für ein verfluchtes Pech! Adeens Herz begann zu hämmern. Charral hatte sich gewaschen, umgekleidet und offensichtlich auch neu parfümiert, doch noch immer entstellten geschwärzte und vom Feuer gekräuselte Strähnen sein silberblondes Haar. Mit hasserfülltem Gesicht starrte er Adeen an. »So schnell sieht man sich wieder.«
    Voller Schreck wich Adeen einen Schritt zurück, um im Gedränge der Menschen zu verschwinden, doch da hatte ihn Charrals Hand schon hart bei der Schulter gepackt. »Ich bin noch nicht fertig mit dir.«
    Undeutlich bemerkte Adeen, wie die Menschen auf dem Markt in größerem Abstand um ihn und Charral vorbeihasteten.
    »Was hast du in deinem Beutel, Krähe?«
    »Nur Rakash für eine Suppe.« Adeen musste sich nicht einmal um einen unterwürfigen Ton bemühen. Und er hatte geglaubt, heute würde ihm das Glück ein wenig zulächeln!
    Charral riss ihm den Beutel von der Schulter und spähte hinein. »Das ist eine Menge Rakash für einen Hungerleider wie dich.«
    »Es ist nicht für mich. Ein Freund hat mich gebeten, ihm etwas mitzubringen …«
    Charrals Augen wurden schmal. »Dein Freund muss ausgesprochen hungrig sein. Oder geht es hier eher um die
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