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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche
Autoren: Kaja Evert
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Gewalt vom Leib halten!« Eine Hand griff nach Adeens Schulter. Durch den dünnen Stoff der Robe hindurch fühlte er die Wärme der Berührung, stärker, als es ihm in diesem Moment natürlich erschien.
    »Kannst du mich hören?«, fragte die Frau.
    Die wirbelnden hellen und dunklen Flecken vor ihm flossen ineinander und formten sich zu einem schmalen, kantigen Gesicht. Selbst im blauen Licht der einbrechenden Nacht schien ein farbiger Schimmer auf ihrer Haut zu liegen, violett, oder vielleicht rötlich. Ihre Augen starrten ihn forschend an, wilde, helle Augen. Etwas Aristokratisches lag in diesen Zügen, wie bei den edlen Jagdhunden, die sich die Oberschicht hielt, und die nur aus Sehnen und grazilen Knochen zu bestehen schienen. Unter ihrer Kapuze stahlen sich einzelne Haarsträhnen hervor, die wie Feuer leuchteten. Und plötzlich erkannte Adeen, dass er einen Draquer vor sich hatte, einen der seltenen Glücklichen unter den Magiern, in denen sich die Magie ihrer Vorfahren auch äußerlich manifestierte.
    Erst als sie ihren durchdringenden Blick nicht von ihm wandte, wurde Adeen bewusst, dass sie ihn etwas gefragt hatte. »Was?«, murmelte er.
    »Ist es schlimm?« Sie zog ihm die Kapuze vom Kopf und wies auf sein blutendes Gesicht.
    »Es geht mir gut«, brachte Adeen heraus. Mit steifen Fingern versuchte er, sich die Kapuze wieder aufzusetzen. Er schämte sich vor dieser Frau für sein Aussehen. »Ich muss gehen.«
    Sie runzelte die Brauen. »Wisch dir wenigstens das Blut ab.« Von irgendwo zog sie ein Tuch hervor und drückte es Adeen in die Hand. Immer noch konnte er nichts anderes tun, als sie anzustarren. Ihre Augen, ihre Haare und ihre Haut schimmerten in der einbrechenden Dunkelheit in so unwirklichen Farben, wie er sie noch nie gesehen hatte.
    Wie hatte Charral die Frau genannt? Talanna? Er erinnerte sich, dass der Akademiediener diesen Namen verwendet hatte.
    Benommen ertappte er sich dabei, dass er noch immer dasaß wie ein Dummkopf, und begann, mit dem Tuch der Frau die Stellen in seinem Gesicht abzutupfen, die sich taub anfühlten. Erst als er das Blut auf dem dünnen Stoff sah, fühlte er allmählich das Brennen der Verletzungen. Nicht nur sein Gesicht, sondern auch sein Rücken schmerzte von dem Stoß gegen die Wand. Immerhin gelang es ihm, sich ein Stück weit hochzustemmen. Wo ihn Charrals Stiefel getroffen hatte, stach seine Seite so heftig, dass ihm für einen Moment die Luft wegblieb, doch es gelang ihm, nicht das Gesicht zu verziehen.
    »Ich muss mich für das Verhalten meines Verlobten entschuldigen. Er hat vergessen, was sich für einen Mann seines Standes gehört.« Sie warf dem Magier einen Seitenblick zu, der Wasser hätte gefrieren lassen können – leider war Charral halb ins Dunkel getaucht, und Adeen konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Aber er hörte ihn murmeln: »Das wird dir schon bald leidtun.«
    Gleich darauf waren sie fort, und Adeen kniete noch immer auf dem Straßenpflaster.
    Charrals Verlobte –

2
    Bilder
    D ie Arbeiterquartiere von Rashija boten so viel Raum zum Leben wie Bienenwaben, jeder Fußbreit wurde genutzt. Adeen musste sich durch winzige Gassen zwischen den Häuserblocks hindurchschieben. Jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, waren die Stände verlassen, die Stadt wirkte wie ausgestorben. Nur schwaches Kerzenlicht, das aus dem einen oder anderen Fenster flackerte, und gedämpftes Stimmengemurmel ließen ahnen, dass hier Menschen lebten. Es war besser, sich am Abend nicht mehr auf die Straße zu wagen, wenn die Wachen ihre Runden drehten und jemanden suchten, an dem sie ausprobieren konnten, wie gut ihre Hunde auf Kommandos hörten. Adeen kam nur langsam voran, seine Seite schmerzte, und sein Kopf dröhnte. Er würde froh sein, wenn er sich endlich hinlegen konnte, aber vorher hieß es, Rasmi zu erklären, dass er mit leeren Händen kam.
    Rasmis Wohnblock lag nah am Rand der Stadt, nicht weit von Adeens eigenem Unterschlupf entfernt. Vom Dach aus überblickte man die Felder, die rings um Rashija auf der Hauptinsel lagen, eine eintönige Fläche, von der bisweilen Staubfahnen aufstiegen. An klaren Tagen konnte man bis zu den kleineren Nachbarinseln hinübersehen. Manchmal, wenn man ihn auf einen Botengang in einen der Akademietürme schickte, reichte sein Blick weit über den Rand der Inseln hinaus, bis zum Boden. In der Tiefe hatte Adeen Wald gesehen, der die Landschaft wie ein grüner Pelz bedeckte, und ein- oder zweimal eine Ortschaft, so klein, dass er
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