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Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados
Autoren: Caroline Lawrence
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kaum verstehen, also beugte ich mich wieder zu ihr runter. »Ja, Ma?«
    »Versprich mir, dass du niemals das Leben eines anderen nehmen wirst. Nicht einmal das derjenigen, die mich getötet haben. Du musst vergeben. Das ist es, was der Herr uns lehrt.«
    »Das kann ich nicht versprechen, Ma«, sagte ich. Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich blinzelte, und mein Blick wurde wieder klarer.
    »Es ist mein Sterbewunsch«, sagte sie. »Du musst.«
    »Dann verspreche ich es«, sagte ich.
    Sie schloss die Augen & flüsterte: »Und versprich, dass du nicht glücksspielen und keinen Schnaps trinken wirst.«
    »Ich verspreche es.«
    Aber jetzt hörte sie mich schon nicht mehr.
    Ich stand auf & schaute zu den Leichen meiner Pflegeeltern hinab. Sie lagen nebeneinander, die Lachen ihres Blutes dehnten sich immer weiter aus und vermischten sich.
    Ich ging zum Ofen, wobei ich vorsichtig einen Bogen um die Gegenstände machte, die umgestoßen und verstreut worden waren. Ein Blechkanister voll Mehl war auf dem Boden geleert worden. Ich achtete darauf, nicht hineinzutreten. Ebenso sicher wie mit dem Blut hätte ich mit dem Mehl Fußabdrücke hinterlassen.
    Ich nahm die verbrannte Milch von der heißen Platte. Dann kniete ich mich neben den Ofen & tastete nach dem Bodenbrett mit dem kleinen Astloch. Ich bekam meine Fingerspitze hinein & zog es hoch. Ich fand meinen Medizinbeutel, holte ihn heraus und hängte ihn mir um den Hals. Außerdem fand ich die Goldmünze, die zwanzig Dollar wert war und die Ma für Notfälle aufbewahrt hatte. Sie würde sie jetzt nicht mehr brauchen, also nahm ich sie auch mit. Ich steckte sie in meinen Medizinbeutel zu den anderen Sachen. Dann legte ich das Brett an seinen Platz zurück.
    Draußen hörte ich in flüsterndem Ton Männer sprechen. Eine der Verandastufen knarrte.
    Ich wusste, dass sie es waren. Die Mörder kehrten zurück.
    Ich schaute mich im Haus um. Es gab in dieser Ein-Zimmer-Hütte nicht gerade viele Winkel, in denen ich mich verstecken konnte.
    Eigentlich gab es nur einen.

KONTOBUCHBLATT 3

    An der gegenüberliegenden Hüttenwand stand Ma Evangelines hoher Kiefernschrank. Er war etwa zur Hälfte mit Büchern und zur anderen Hälfte mit Geschirr gefüllt.
    Ich kletterte diesen Schrank so schnell hinauf wie ein Eichhörnchen, dem der Schweif brennt. Als ich mich dem oberen Ende genähert hatte, wandte ich mich halb um und sprang auf einen der beiden Dachbalken des Hauses. Ich bin klein für mein Alter, aber ich bin wendig.
    Ich war schon oben auf dem Balken, als sich der Türgriff zu bewegen begann. Doch in meiner Hast hatte ich einen Teil des Porzellans zum Zittern gebracht. Als sich die Haustür langsam öffnete, fiel mir ein großer, blauweißer Teller auf, der sich oben auf dem Schrank in Bewegung gesetzt hatte.
    Der Teller wurde langsamer, zögerte und kam dann genau an der Kante zum Stehen.
    Vor Erleichterung seufzte ich auf, erstarrte dann aber, als ich hörte, wie die jammernde Stimme eines Mannes sagte: »Keine Gefahr?«
    »Nein, keine Gefahr«, antwortete eine tiefere Stimme. »Sie sind immer noch tot. Jetzt komm schon, du dämlicher Angsthase.«
    »Ich bin kein Angsthase«, sagte der mit der jammernden Stimme. »Die Frau hat mir ziemlich was verpasst mit ihrer Pfanne. Wehgetan hat das.«
    Ich spähte über die Kante des großen Balkens und erblickte unter mir drei Männer. Sie klangen wie Weiße, sahen aber wie Indianer aus. Dann schaute ich genauer hin, und erkannte, dass sie Weiße waren, die sich als Indianer verkleidet hatten. Sie trugen weite Hosen aus Zelttuch, nicht aus Wildleder, und ihre Mokassins waren ungeschickt aus Büffelhaut gefertigt worden. Sie hatten Kriegsbemalung auf ihren Gesichtern & Truthahnfedern in ihrem fettigen Haar. Einer der Männer roch stark nach Bay-Rum-Haarwasser. Von dort oben aus war ich mir nicht sicher, welcher, aber ich nahm an, dass es der mit den drei Truthahnfedern war. Er führte die anderen durch den Raum.
    Ich hielt mich am Dachbalken fest & probierte einen Trick, von dem mir meine indianische Ma einmal erzählt hatte. Er heißt der Busch-Trick. Wenn man sich hinter einem kleinen Busch versteckt und sich vorstellt, man sei dieser Busch, dann, so heißt es, wird man unsichtbar. Ich probierte den Balken-Trick. Ich tat so, als sei ich ein Teil des Balkens. Ich konzentrierte mich ganz fest & betete, dass meine indianische Ma recht gehabt hatte.
    »Ich hab euch gleich gesagt, die würden das nicht hier im Haus verstecken«, hörte ich den
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