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Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados
Autoren: Caroline Lawrence
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bloß ein Fliegenschiss von einer Stadt. Es liegt auf Wüstenland am Fuße der Pine Nut Mountains, zwischen Palmyra & Dayton. Abgesehen von unserer Hütte & einigen wenigen Holzgebäuden, die nur aus einem Raum bestehen, gibt es bloß einen Kurzwarenladen, einen Mietstall & eine kleine Kirche mit halb gebautem Turm. Es gibt keinen Saloon & und keinen Ort, an dem man Whiskey kaufen kann. Temperance, das hat mir meine Ma erklärt, bedeutet Enthaltsamkeit. Der Name passt also ganz gut.
    Der Reverend Emmet Jones, mein Pflegevater, gründete die Stadt nach einem Tag des Betens & Fastens. Er sagte, er wolle eine Stadt bauen, in der nichts die Menschen zur Sünde verführen würde. Das würde seinen Beruf vereinfachen, meinte er. Was auch zeigt, wie wenig er über die menschliche Natur wusste. Schließlich wird er vermutlich gerade mit einer beilförmigen Wunde in der Brust in seinen Sarg gelegt, während ich dies schreibe.
    Mein Pa hoffte, Temperance würde eine Oase der Frömmigkeit inmitten einer Wüste der Sünde sein. Doch Temperance ist keine Oase. Eher ein gescheiterter Versuch. Die Postkutsche hält nur dann hier, wenn sich jemand mitten auf die Straße stellt und winkt. Und selbst dann stoppt sie nur, wenn sie noch einen Platz frei hat, oder wenn die Person, die mitgenommen werden will, hübsch ist oder reich. Es sind zwei Meilen bis Dayton, und vondort aus nimmt die Postkutsche die zollpflichtige Straße hinauf nach Virginia City & und zu all den gewaltigen Silberminen der Comstock-Ader, wo das große Geld gemacht wird.
    Die 4-Uhr -Kutsche war jede Minute fällig, und – egal wie – ich wollte sie nehmen.
    Ich musste schnell raus aus Temperance.
    Als ich mich an diesem Tag aus dem Haus stahl, an dem Tag, an dem meine Pflegeeltern umgebracht wurden, war der erste Ort, zu dem ich rannte, der Lokusschuppen. Ich hoffte, Walt & seine Männer würden nicht in der Nähe sein, denn ich benötigte den Schuppen wirklich dringend. Nachdem ich mein Geschäft erledigt hatte, bewegte ich mich in der Hocke heraus und warf mich hinunter in den Staub. Ich kroch von Wüstenbeifuß zu Wüstenbeifuß, immer in Richtung der westlichen Stadtgrenze. Bei gerade einmal einem halben Dutzend Gebäuden brauchte ich dafür nicht lange.
    Normalerweise müssen die Schüler für die Schule kratzige schwarze Hosen, ein gestärktes weißes Hemd & schwere Stiefel tragen, aber weil es mein Geburtstag war, hatte Ma mir erlaubt, die neue Hose und das neue Hemd anzuziehen, die sie mir aus butterweichem Wildleder genäht hatte. Das Hemd hatte eine blassgoldene Farbe, weshalb ich im Staub gut getarnt war. Ich bewegte mich auf ein dichtes Strauchwerk neben der Straße zu.
    Als ich dort ankam, trat mir ein schlimmer Gestank in die Nase, und ich sah einen toten Kojoten, um den die Fliegen herumschwirrten. Ich schreckte zurück, als ich ihn sah, & wollte schon weiter. Aber dieser Strauch wardie einzige Deckung weit und breit, und die 4-Uhr -Kutsche würde jeden Moment eintreffen. Ich schob den Kojotenkadaver mit meinem Ellbogen unter den Strauch & blieb auf dem Bauch liegen, während mein Herz hämmerte & mir ziemlich schlecht war.
    Dann betete ich.
    Als ich den Kopf wieder hob, fiel mir auf, dass zwei Pferde & ein Maultier hinter Goulds Kurzwarenladen standen. Die hatte ich noch nie gesehen. Bei den Pferden handelte es sich um einen rötlich grauen Wallach und eine kastanienbraune Mähre. Das Maultier hatte eine schmutzig weiße Farbe.
    Ich dachte: Das müssen Walts Reittiere sein.
    Außerdem dachte ich: Wann kommt bloß diese Postkutsche?
    Und schließlich: Was könnte in meinem Medizinbeutel sein, wofür es sich zu sterben lohnt?
    Ich stützte mich auf meinen Ellbogen und zog den Medizinbeutel unter meinem Wildlederhemd hervor. Er war aus Büffelhaut gefertigt & geschmückt mit roten & blauen Perlen, die in Form eines kleinen Pfeils angeordnet waren. Er war so groß wie meine rechte Hand, wenn ich die Finger spreizte. Meine indianische Ma hatte ihn mir gegeben, bevor wir mit den Planwagen nach Westen aufgebrochen waren. Ich hatte ihn während des Massakers um meinen Hals getragen, hatte ihn mir aber nicht mehr angeschaut, seit meine Pflegeeltern ihn in dem Versteck unter dem Bodenbrett deponiert hatten. Ich glaubte mich zu erinnern, was darin war, aber ich wollte sichergehen. Also öffnete ich die Lasche und kippte den Inhalt in den Staub. Nebender Zwanzig-Dollar-Münze waren drei Dinge darin: das Steinklingen-Messer meiner indianischen Ma, ein Stück
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