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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt
Autoren: dtv
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ob ihn da nicht jemand erkennen würde.
    Im Sommer vor zwei Jahren hatte er mit seinen Bildern eine Ausstellung in einer kleinen Galerie in Keitum gehabt. Es war seine erste richtige eigene Ausstellung. Vorher hatte er nur mit anderen jungen Malern aus seiner Klasse in den Räumen der Hochschule und dann auch in einem Loft in der Admiralitätsstraße ausgestellt.
    »Wenn du als Unbekannter verkaufen willst, musst du nach Pöseldorfgehen oder am besten gleich nach Sylt«, hatte Albrecht Ahlen gesagt, der sich am Kunstmarkt schon etabliert hatte. »Das sind Arschlöcher. Aber die kaufen deine Bilder.«
    So hatte Harry versucht, mit zwanzig grellbunten halb abstrakten Ölbildern in mittleren Formaten den Einstieg in die Sylter Schickeria zu finden.
    »Wenn du erst mal zwei Bilder an die beiden entscheidenden Leute verkauft hast, läuft es wie von selbst«, hatte Ahlen gesagt.
    Doch die Vernissage war für Harry ausgesprochen deprimierend verlaufen. In seiner öden und blasierten Eröffnungsansprache wusste der Galerist nichts über Harry zu sagen, außer, dass er aus derselben Malereiklasse wie der gefeierte Albrecht Ahlen hervorging. Die Gäste der Vernissage hatten Harry überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und seine Bilder erst recht nicht. Die Chefarzttypen in karierten Golfhosen und |43| ihre schlank gehungerten Frauen mit braun gebrannten Eidechsenhälsen hatten eine endlose Küsschenzeremonie abgehalten, sich mit Schampus besoffen und von dem »göttlichen« Ahlen geschwärmt. Dann waren sie in ihren »Targas« wieder ins um die Ecke liegende Kampen abgerauscht, während sich ihre verwöhnten Sprösslinge knutschend in die Dünen verzogen. Die Besprechung im Sylter Lokalblatt war wohlwollend nichtssagend. Schlimmer als ein Verriss.
    Wirklich berechtigt war Harrys Sorge also nicht, auf Sylt wiedererkannt zu werden. Aber auf Amrum war er weiter aus der Schusslinie, zumal dort jetzt zum Ende der Saison kaum mehr etwas los war. So hatte er in der Morgendämmerung das Fahrrad neben dem Bauwagen noch etwas tiefer in den Graben geworfen und war zunächst ein Stück zu Fuß gegangen, bis ihn ein Lieferwagen zur Mole nach Dagebüll mitnahm.
    Zunächst fand er es riskant, per Anhalter zu fahren. Aber zu Fuß und auch mit dem Fahrrad wäre er noch mehr aufgefallen. Er musste sich immer nervös umgucken, als er die erste Fähre der W.D.R., der »Wyker Dampfschiffs-Reederei« nach Föhr und Amrum bestieg. Die Neckermann-Tüte trug er nicht an dem dafür vorgesehenen Plastikgriff, sondern unter dem Arm, krampfhaft bemüht, dass sich das Obere der Tüte, das er umgeschlagen hatte, nicht öffnete. Er hatte eine ganze Weile im Regen vor der heruntergeklappten Schiffsrampe warten müssen, bis seine Fahrkarte abgerissen wurde. Harry wurde unsicher, als er eine Weile so dastand mit seiner Plastiktüte. Er fühlte sich von den Mitreisenden beobachtet. Es ging nicht weiter, weil |44| der Einweiser der W.D.R in einen lautstarken Streit mit einem Autofahrer verwickelt war.
    »Mindestens ’ne halbe Stunde vorher«, blaffte der Mann mit einem hochroten Kopf den freundlich aussehenden Familienvater in dem Ford-Kombi an, dessen Kofferraum bis unter das Dach mit Proviant für den ganzen Urlaub vollgepackt war. »Sonst kommst du normal gar nicht mehr mit.«
    Der Einwand des Fahrers, dass das Autodeck nicht einmal halb besetzt war, brachte den Choleriker mit der weißen W.D.R.-Mütze erst richtig in Fahrt.
    »Wat is los? Willst du mir hier dumm kommen? Dann kannst du gleich wieder nach Hause fahren.« Dabei gurgelte seine raue Stimme in der Kehle.
    »Ja, ist schon gut, kommen Sie.« Der Vater hielt immer noch die Fahrtkarten aus dem heruntergekurbelten Fenster, ohne dass der Fährmann, dessen Gesichtsfarbe noch einen Tick roter wurde, Anstalten machte, ihn abzufertigen.
    Laut hörbar zog er durch die Nase den Schleim nach oben: »Grrörrch.« Er spuckte aus.
    »Dann geht das gleich wieder ab nach   ... « Er ging einen Schritt zur Seite, um nach dem Autokennzeichen zu sehen. »Nach   ... SFA, wat is denn dat überhaupt? Gibt’s doch gar nich!«
    Darauf wurde jetzt die Frau auf dem Beifahrersitz munter. »Sagen Sie mal, Sie ticken doch wohl nicht ganz richtig«, keifte sie mit schriller Stimme, sich zum Fahrerfenster hinüberbeugend. Die halbwüchsige Tochter mit Kopfhörern in den Ohren auf dem Rücksitz guckte apathisch.
    |45| »Lass doch, der Kerl ist offensichtlich nicht ganz ernst zu nehmen«, versuchte der Fahrer zumindest seine
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