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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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Diesmal nicht. Ich war bereit zum Angriff. Ich zwinkerte
Emira verstohlen zu und nickte einmal kurz. Sie verstand mich sofort.
    »Wissen Sie was!«, begann ich mit lauter
Stimme. »Ich darf fliegen, also fliege ich auch. Ich lasse Ihnen meine Tochter
hier. Hier am Flughafen. Und dann möchte ich mal sehen, was Sie machen. Haram
Alik!«
    Der Beamte schnappte nach Luft. »Das können Sie nicht tun!«
    »Doch, das kann ich tun«, sagte ich, während ich an Emiras
Körperhaltung überprüfte, ob sie dieses Spiel wirklich durchschaute. Ja, meine
kluge Tochter wusste genau, worum es jetzt ging.
    »Sie können das Kind nicht hier im Flughafen lassen! Sie können es
meinetwegen nach draußen bringen und auf die Straße stellen. Aber nicht innerhalb
des Flughafens.«
    »Komm«, sagte ich zu Mohamed, der Elias trug.
    Der Mann hielt mich am Ärmel fest. »Das dürfen Sie nicht tun!«
    »Erzählen Sie mir nicht, was ich tun darf!«
    Offenbar war ich auch eine ziemlich gute Schauspielerin. Auf einmal
wurde der Mann freundlich. »Wissen Sie, so eine Blockade, die kann man auch
wieder löschen.«
    »Ach?«
    »Ja. Im Grunde ist das kein Problem.«
    Es war aber ein Problem, wie sich herausstellte, als ich am nächsten
Tag beim Anwalt saß – allein mit Emira, denn Mohamed und Elias waren zurück
nach Deutschland geflogen. Der Anwalt machte sich schlau und verwies mich an
einen Kollegen auf Djerba, der mir mit der Blockade weiterhelfen würde. Dort
war sie beantragt worden, also musste sie dort auch gelöscht werden.
    »Ja«, sagte ich. »Dann wende ich mich an Ihren Kollegen.«
    »Tun Sie das.«
    Ich nickte. Ich würde das nicht tun. Es reichte mir. Ich wollte
nicht wieder einen Weg versuchen, der nach vielen Hoffnungen im Nichts enden
würde. Denn auf Djerba hatten wir keine Chance, dort war Farid ein angesehener
und einflussreicher Mann.
    Mit Emira kehrte ich zurück nach Toujane in unsere Wohnung, um dort –
so erzählte ich es überall herum in der Hoffnung, es würde auch die richtigen
Ohren erreichen – auf die Nachricht meines Anwalts zu warten.
    Emira und ich nahmen unser altes Leben wieder auf. Sie ging brav zur
Schule, und ihre Mutter zeigte sich mit Kopftuch auf der Straße und verfolgte
in der Wohnung der Nachbarin vor dem Fernseher die politische Entwicklung in
Libyen. Oder sie war im Internet unterwegs und erkundete die aktuelle Lage.
Wenn dort die Revolution ausbrach, würde sich voraussichtlich niemand darum
kümmern, wer illegal in das Land einreiste, aus dem alle nur eines wollten:
ausreisen. Ich könnte von Libyen aus mit Emira und meinem Pass ohne Blockade
mit dem Schiff nach Genua oder mit dem Flugzeug von Tripolis nach Europa
reisen. Die libyschen Lesegeräte würden keine Blockade melden. Tag für Tag
besprach ich mich mit Mohamed.
    Doch die politischen Ereignisse in Libyen überschlugen sich, und
unser Mut sank, bis wir uns gezwungen sahen, den Plan ad acta zu legen. Es war
inzwischen viel zu gefährlich.
    Schon bei meinem ersten Aufenthalt in der Wohnung hatte ich
Freundschaft mit meiner Nachbarin geschlossen, die im Gegensatz zu uns einen
Fernsehapparat besaß. Die Schwester von Mohameds bestem Freund, Aischa, war in
meinem Alter und hatte drei Töchter. Eines Abends, die Kinder schliefen, fragte
sie mich leise: »Warum fährst du nicht mit dem Schiff?«
    »Libyen ist keine Alternative mehr für mich.«
    »Ich meine nicht Libyen. Ich meine von hier aus. Meine Mutter hat
mir den Tipp gegeben. Sie hat die Idee von einer Freundin. Es fahren jetzt doch
ständig Schiffe. In zwei Tagen soll wieder ein Boot nach Italien gehen. Wäre
das nichts für euch?«
    Entgeistert starrte ich sie an. Ich hatte die Bilder von den überfüllten
Booten gesehen. Ich hatte gehört, wie oft sie kenterten und wie viele Menschen
auf diesen von Schlepperbanden organisierten Überfahrten ertranken. Nein,
danke.
    »Ich kenne eine Menge Leute, die auf diesem Weg in Europa gelandet
sind«, sagte sie.
    Aischa würde mir kaum etwas raten, was sie nicht selbst
befürwortete. Sie war meine Freundin. Meine Gedanken überschlugen sich. Wie
gefährlich war es wirklich? Weit war es nicht von Zarzis nach Lampedusa, nicht
mal die Hälfte der Strecke nach Tunis.
    »Hm«, machte ich, schon nicht mehr so skeptisch. Aber ich hatte
immer nur von jungen Männern gehört, die eine solche Überfahrt wagten. Ich war
kein junger Mann, und ich trug die Verantwortung für meine Tochter. Lebensmüde
war ich bestimmt nicht. Ich wollte eine sichere Alternative,
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