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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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empfinden Sie nun?
    Mir waren die Bärtigen unheimlich. Doch die Freude auf dem Flughafen
berührte mich tief, und es gab nichts, was ich mir mehr wünschte, als ebenfalls
zu den Glücklichen zählen zu dürfen, die ihre Familie wiedervereint wussten.
    Der Flughafen in Tunis war übervölkert mit Menschenmassen, eine
einzige große Party unter dem Motto Familienzusammenführung. Diese herzergreifenden
Begrüßungsszenen wurden von Fernsehteams aus aller Welt gefilmt.
    »Mabruk«, beglückwünschte ich unseren Taxifahrer auf dem Weg in das
Hotel, in dem ich mit Emira im Sommer übernachtet hatte. Ich wollte ihn wissen
lassen, dass ich die Tunesier bewunderte für ihre Kraft im Widerstand. Ein
Schwall von Wörtern ergoss sich über mich. Das war zu schnell für mich, denn
Mohamed sprach zu Hause langsamer mit mir. Wir erfuhren, was sich in den
vergangenen Wochen hier ereignet hatte. Zwar wussten wir das schon, da wir
gründlich recherchiert hatten, doch im Land selbst hörte sich das ganz anders
an als aus dem Internet.
    Am liebsten wären wir unmittelbar nach der Landung sofort zu Emira
in den Süden aufgebrochen, doch durch die Ausgangssperre mussten wir den
nächsten Morgen abwarten. Der Bus nach Gabes war wie alle anderen
Verkehrsmittel proppenvoll. Immer wieder mussten Umwege gefahren werden, da
zahlreiche Versammlungen und politische Kundgebungen auf Straßen und Plätzen
abgehalten wurden.
    Mohamed war überglücklich, endlich wieder zu Hause zu sein. Und ich
irgendwie auch, denn das war das Tunesien, das ich mir immer gewünscht hatte: ein
freies Land. Die Angst und die Beklemmung, unter der wir so lange gelitten
hatten, waren wie weggeblasen. Jetzt gab es nur noch ein Hindernis. Es hieß
Farid.
    Nach acht Stunden Busfahrt gelangten wir in Gabes an, fuhren mit
einer Loage nach Toujane und wurden dort abgeholt von einem Freund von Mohameds
Familie, der uns zu Emira brachte. Zwei Monate hatten wir uns nicht gesehen.
    Emira wollte nicht mehr bei Nawres bleiben. Wie so oft in diesem
Alter hatten die Mädchen viel gestritten, sich wieder vertragen, gestritten,
sich vertragen. Emira zog meistens den Kürzeren, da Nawres ein Jahr älter ist,
ein beträchtlicher Vorsprung, wenn man so jung ist. Aber am scheußlichsten fand
Emira den langen Schulweg, bergauf und bergab über Stock und Stein. Als sie mir
das alles eng an mich gekuschelt erzählte, wuchs mein Wunsch, sie endlich nach
Deutschland zu bringen, ins Unermessliche. So viele Jahre schon musste ich mir
dieses geliebte Kind immer wieder wegreißen lassen. So viele Jahre musste ich
meine Gefühle unterdrücken, um nicht verrückt zu werden an meiner Sehnsucht und
Verzweiflung. Was war denn so verboten daran, dass Mutter und Kind zusammenleben
wollten? Noch dazu, wenn der Vater sich kaum um seine Tochter kümmerte! Ich
sehnte mich mit jeder Faser meines Seins danach, endlich Alltag mit ihr erleben
zu dürfen, sie immer bei mir zu wissen und ihr nie mehr unter den
Gewitterwolken einer bevorstehenden Trennung gute Laune vorzuspielen. Und ich
spürte, dass all die Unruhe ihres jungen Lebens Emira über Gebühr belastet
hatte. Auch wenn sie als Kind in der Lage war abzuschalten, hatten die
Trennungen ihre Spuren hinterlassen. Es tat weh, darüber nachzudenken, welche
Kindheit ich mir für sie gewünscht hatte … und wie die Realität aussah.
    Nach drei Tagen bei Mohameds Familie wurden wir alle krank. Das
kannte ich schon. Der Wind in den Bergen blies kalt, und wir waren es nicht
gewohnt, auf dem Boden zu sitzen. Nicht einmal Mohamed: Ihn erwischte es am
schlimmsten. Sein Fieber stieg über 40 Grad, und deshalb beschlossen wir, in
die Wohnung im Dorf zu ziehen: Dort hatten wir wenigstens fließend Wasser und
ein Badezimmer. Als wir alle mehr oder weniger wiederhergestellt waren – die
anderen mehr, ich weniger –, holte uns ein Freund von Mohamed mit dem Auto ab
und brachte uns nach Tunis zur deutschen Botschaft. Innerhalb einer Stunde
hatten wir Emiras neuen deutschen Pass in den Händen. Wir konnten es nicht
fassen. So groß war unsere Angst vor dem Scheitern auf der Botschaft gewesen –
und jetzt das! Sollte der Beamte in Deutschland wirklich recht behalten und wir
bis in das Flugzeug begleitet werden? Womöglich in einer Sänfte?
    Nein, so einfach war es nicht. »Das können wir nicht leisten, Frau
Rothkamm«, erklärte ein Botschaftsmitarbeiter. »Ich würde Ihnen aber gern einen
Anwalt empfehlen, der sich in diesen Angelegenheiten sehr gut auskennt.
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