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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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kein Risiko. Hatte
es nicht auch Flüchtlingsboote gegeben, die vom Militär zum Kentern gebracht
worden waren? Emira und ich konnten zwar gut schwimmen. Aber das würde uns auf
dem offenen Meer, womöglich bei hohem Seegang, Sturm, Regen und Kälte, nicht
das Geringste nutzen.
    »Soll ich mich mal für dich erkundigen?«,
fragte Aischa.
    »Lass mich eine Nacht darüber schlafen«, bat ich sie.
    In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Das war kein Leben mehr,
immer voller Angst, Farid könnte etwas gegen uns unternehmen. Manchmal gelang
es mir, alles zu überspielen. Dann aber überfiel mich Panik. Sollte er Emira
tatsächlich entführen, würde ich mir das nie verzeihen. Welches Leben drohte
ihr da? Ich hätte tatsächlich keine Möglichkeit, sie je wiederzufinden, wenn er
es nicht wollte. Verzweiflung packte mich, doch ich zwang mich, das Für und
Wider einer Flucht mit dem Boot so rational wie nur möglich abzuwägen. Alle nur
erdenklichen Versuche waren gescheiert. Wie oft wollte ich es noch auf legalem
Wege probieren – nur um dann wieder am Flughafen oder an der Grenze aufgehalten
zu werden? Wie viele solche Wechselbäder ertrug ich noch … und wie viele ertrug
Emira? Wie oft hatte ich ihr Hoffnung gemacht und sie doch jedes Mal enttäuscht,
weil wir an der Grenze scheiterten?
    Die ganze Situation war kaum mehr zu ertragen. Emira und ich, hier
allein im Dorf, wo wir ein Scheinleben führten. Mohamed und mein kleiner Sohn
Elias in Deutschland … wie vermisste ich sie. Doch ich erinnerte mich zu gut
daran, wie ich Emira geschworen hatte, immer für sie da zu sein. Das hatte sich
in meine Seele gebrannt, und bevor die ihre ernsthaften Schaden nahm, musste
etwas geschehen. Musste endlich Normalität einkehren in unser Leben.
    Ich spürte, dass wir nicht mehr lange so weitermachen konnten. Doch
noch immer tat sich keine Lösung auf. Oder war das die Lösung – eine Flucht in
einem Schlepperboot?
    Würde Emira etwas auf dieser Fahrt geschehen, ich könnte es mir nie
verzeihen. Würde sie Farid in die Hände fallen, wäre auch das unverzeihlich.
    Mein erster Impuls war es, die Sache mit Mohamed zu besprechen, doch
dann dachte ich, dass mir in dieser Angelegenheit niemand einen Rat geben
konnte, denn ich riskierte mein Leben und das von Emira mit dazu. Würde etwas
schiefgehen, so könnte Mohamed nie mehr froh werden, falls er mir zu der
Überfahrt geraten hätte. Das musste ich mit mir selbst ausmachen und ihn vor
vollendete Tatsachen stellen.
    Am nächsten Morgen rief ich ihn an und sagte: »Ich weiß jetzt, was
ich mache.«
    »Ja?«
    »Wir kommen mit dem Schiff.« Ich erzählte
ihm von Aischas Idee.
    Mohamed schwieg.
    »Es ist mein Leben«, sagte ich. »Ich muss das alleine entscheiden.
Und ich entscheide auch für Emira. Ich bin ihre Mutter.«
    »Ja«, sagte Mohamed. Und nach einer Pause: »Danke, dass du das mit
dir abgemacht hast.«
    Erst als wir gesund und glücklich in Deutschland gelandet waren,
erfuhr ich, dass Mohamed die Überfahrt nach Lampedusa oft durch den Kopf gegangen
war, doch er hatte es nicht gewagt, mir das vorzuschlagen. Denn: »Wenn euch
etwas passiert wäre, hätte ich mich dafür verantwortlich gefühlt bis an mein
Lebensende.«
    Ich bat Aischa, für mich Erkundigungen einzuholen. Sie gab
meinen Kontaktwunsch weiter, und so gelangte er über mehrere Stationen zu einem
Ansprechpartner, der es organisierte, dass ich abgeholt und zu einem Haus
gebracht wurde, wo mir ein anderer Mann die Vorgehensweise erklärte.
    »Die nächste Überfahrt findet in zwei Tagen statt, wenn das Wetter
so bleibt, wie es im Moment ist. Alles hängt vom Wetter ab. Bereiten Sie sich
gut vor. Sie brauchen warme Kleidung.«
    »Wie teuer ist das?«
    »Zweitausend Dinar pro Person.«
    Das entsprach für Emira und mich knapp zweitausend Euro.
Selbstverständlich in bar. Keine Schecks, keine Überweisungen. Zweitausend
Euro … Wie konnte man Freiheit mit Geld aufwiegen.
    »Das ist möglich«, stimmte ich zu und erkundigte mich: »Wie viele
Personen passen in diese Schiffe?«
    »Zweihundert.«
    »Brauchen wir Proviant?«
    »Für Verpflegung ist gesorgt.«
    »Wie viel Gepäck können wir mitnehmen?«
    »Pro Person eine Tasche.«
    »In Ordnung«, sagte ich.
    »Sie werden morgen Nachmittag abgeholt. Halten Sie sich bereit.« Er räusperte sich. »Und das ist keine Kreuzfahrt. Es wird
sehr eng werden. Enger, als Sie es sich vielleicht vorstellen können. Letztlich
wird keine Zigarette zwischen die Passagiere passen.«
    »In
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