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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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gesessen. In arabischen Ländern aber essen Frauen und Männer meistens
getrennt. Ich saß bei den Frauen. In arabischen Ländern ist es üblich, dass der
Mann bei einem Besuch zu Hause seine Frau ignoriert. Sie bleibt sich selbst
überlassen im Kreis der anderen Frauen. Schwestern, Cousinen, Kinder – auch
alte Männer haben Zutritt zu dem Kreis der Frauen. Aber das wusste ich nicht,
Farid hatte es mir nicht gesagt. Es verwirrte und verunsicherte mich, dass er
kein Wort mit mir wechselte, mich kaum beachtete, und wenn ich ihn ansprach,
reagierte er unwirsch, sodass ich es schließlich eingeschüchtert unterließ. Hatte
ich einen Fehler gemacht? Welchen? Hunderte von Fragen fuhren Karussell in
meinem Kopf, keine einzige wagte ich zu stellen.
    Eine Schwester von Farid sprach sehr gut Englisch und übersetzte für
die Mutter, die nicht abließ, mich mit ihren Blicken zu durchbohren. Die
wenigen tunesischen Wörter, die ich mittlerweile kannte, reichten nicht aus, um
eine Unterhaltung zu führen. Niedergeschlagen fuhr ich am Abend mit Farid nach
Hause.
    »Was meinst du, wie finden sie mich?«,
fragte ich ihn.
    »Wohin gehen wir heute Abend?«, erwiderte
er.
    Ich rechnete es ihm hoch an, dass er mein Fehlverhalten nicht weiter
thematisierte.
    Bei den folgenden Besuchen strengte ich mich immer mehr an, um
die Erwartungen, von denen ich glaubte, dass sie in mich gesetzt wurden, zu
erfüllen. Ich nahm meinen Platz bei den Frauen ein, ignorierte Farid und half
im Haushalt, erkundigte mich nach Rezepten und ließ mich in der traditionellen
tunesischen Küche unterweisen. Einmal saß ich mit seiner Mutter auf dem Boden
und wusch die schmutzige Wäsche. Nur sie und ich unter freiem Himmel – es war
fast wie ein Ritual, und ich fühlte mich ein kleines bisschen akzeptiert.
    Farids Schwestern und Cousinen fragten mir Löcher in den Bauch nach
dem Leben in Deutschland. Einige von ihnen standen kurz vor dem Abitur und
wollten gern in Europa studieren. Ich ermutigte sie. »Wenn ihr das Abitur in
der Tasche habt, steht euch die Welt offen.«
    Ich erzählte ihnen, wie toll es sei, andere Kulturen kennenzulernen.
Mit großen Augen schauten sie mich an. Da fiel mir ein, dass es für sie nicht
so leicht war, ihr Land zu verlassen, um zu reisen, und ich verstummte. Ich
wollte keine weiteren Fehler machen. Ich wollte ganz eintauchen in meine neue
Heimat, denn ich fühlte mich geborgen in dieser lauten, bunten Sippe und
wünschte mir, ein Teil von ihr zu werden. Wie anders war diese Familie als die,
in der ich aufgewachsen war. Ich sehnte mich so sehr nach dieser ganz
speziellen familiären Geborgenheit, die einem Freunde nicht schenken können.
Sehnte mich danach, dazuzugehören, ein Teil zu sein von dieser Sippe. Als
könnte sie alle Verlorenheitsgefühle in meinem Innern auf immer bannen.
    Farid lobte meine Haltung und bestätigte mich nach jedem Besuch bei
seiner Familie darin, auf dem richtigen Weg zu sein. Damit machte er mich
glücklich.
    Hin und wieder passierten mir aber doch Fehler. Die wurden nicht
gern gesehen, und ich spürte es sofort an den bohrenden Blicken der Mutter.
Einmal weinte ich und blamierte Farid damit sehr, obwohl mich alle trösteten.
    »Entschuldigung«, stammelte ich. »Bitte habt Nachsicht! Ich bin doch
eine Deutsche. Ich bin das noch nicht gewöhnt.«
    War ich das wirklich, eine Deutsche? Wer war ich? Es gab Tage, an
denen wusste ich das nicht mehr. Da ging ich auf in dem neuen Leben, das ich
gewählt hatte. Es gab aber auch Tage, an denen ich mich selbst nicht mehr
spürte, nur noch den Druck, alles richtig zu machen,
um Farid nicht zu enttäuschen.
    Als Farid seine Doktorarbeit erfolgreich abgeschlossen hatte,
strebte er eine Facharztausbildung in Europa an. Einer seiner Studienkollegen ergatterte eine Art Stipendium in Belgien.
Um sich hierfür bewerben zu können, musste man den Nachweis erbringen, dem
belgischen Staat nicht zur Last zu fallen. Man durfte weder arbeiten noch
Sozialleistungen beantragen und musste deshalb Papiere vorlegen, die bewiesen,
dass man seinen Lebensunterhalt in Belgien aus eigenen Mitteln bestritt. Es war
sehr einfach, diese Papiere zu fälschen.
    Farid war es egal, in welchem europäischen Land er die Facharztausbildung
machen würde. Es war ihm auch egal, um welchen Facharzt es sich handelte.
Hauptsache Facharzt. Da er Französisch sprach, bot sich Belgien an. Deutsch
sprach er nicht, sonst hätten wir es auch in meiner Heimat versuchen können.
    Gemeinsam kehrten wir
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