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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman
Autoren: Stephen King
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viel farbenfroher und lebendiger in ihrer heidnischen Buntheit als sämtliche Graffitiwände, die je in Detroit oder Toyota Village besprayt worden waren. Er versuchte zu schreien Hör auf, Heidi! Da ist sie! Ich werde sie wieder töten, wenn du nicht damit aufhörst!
    Bitte, o Gott, nein! Guter Gott, bitte, nein!
    Doch die Gestalt trat zwischen den beiden Wagen hervor.
    Halleck versuchte, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und auf die Bremse zu treten, aber der Fuß schien wie durch eine entsetzliche, unwiderstehliche Kraft am Pedal festzukleben.
    Diese furchtbare Unausweichlichkeit, dachte er in panischer Angst und versuchte, das Steuer herumzureißen, aber das Lenkrad bewegte sich auch nicht. Es war total blockiert. So machte er sich innerlich auf den Zusammenprall gefaßt, als der Kopf der Zigeunerin sich verwandelte. Sie war nicht mehr die alte Dame, o nein, es war der alte Zigeuner mit der abfaulenden Nase. Nur hatte er jetzt keine Augen mehr. Genau in dem Moment, als der Olds ihn erfaßte und unter sich begrub, sah Halleck die leeren, starrenden Augenhöhlen.
    Die Lippen des alten Zigeuners öffneten sich nun zu einem obszönen Grinsen - ein uralter Halbmond unter dem Horroranblick seiner verrotteten Nase.
    Dann: Peng.
    Eine alte, ungeheuer faltige Hand, die Finger mit heidnischen Ringen aus geschlagenem Metall geschmückt, wedelte schlaff auf der Motorhaube. Drei Blutstropfen spritzten an die Windschutzscheibe. Halleck war sich vage bewußt, daß Heidis Hand sich schmerzhaft um sein erigiertes Glied krampfte und den Orgasmus zurückhielt, der durch den Schock ausgelöst worden war. Er spürte einen plötzlichen, panisch-freudigen Schmerz...
    Und unter sich hörte er das Flüstern des alten Zigeuners durch den Teppichboden seines teuren Wagens aufsteigen, gedämpft, aber deutlich: »Dünner.«
    Er richtete sich mit einem Ruck auf, drehte sich zum Fenster und schrie fast. Der Mond stand als helle Sichel über den Adirondacks, und einen Augenblick lang glaubte er, er sähe den alten Zigeuner, der mit leicht geneigtem Kopf durch ihr Schlafzimmerfenster spähte, die Augen zwei schillernde Sterne im schwarzen Nachthimmel über dem Staat New York. Das Lächeln kam von innen. Der Mond streute sein kaltes Licht über die Flur, so kalt wie das Licht, das von einem Weckglas voller Glühwürmchen ausgeht, kalt wie die Frösche, die er als Kind in North Carolina gefangen hatte – altes, kaltes Licht, ein Mond in der Form eines uralten Grinsens, eines Grinsens, das auf Rache sinnt.
    Billy holte zitternd Luft, preßte die Augen ganz fest zu und machte sie wieder auf. Jetzt war der Mond wieder nur der Mond. Er legte sich auf den Rücken und war drei Minuten später eingeschlafen.
    Der nächste Tag war hell und klar, und Billy gab endlich nach und versprach Heidi, den Labyrinthpfad mit ihr hinaufzuklettern. Die Umgebung von Mohonk war mit Kletterpfaden ge-spickt, die in den Schwierigkeitsgraden von leicht bis extrem schwer rangierten. Der Labyrinthpfad wurde mit ›gemäßigt‹ bewertet, und Heidi und er waren in ihren Flitterwochen zweimal hinaufgestiegen. Er erinnerte sich, wieviel Spaß es ihm gemacht hatte, die steilen Hänge hinaufzuklettern, während Heidi direkt hinter ihm ständig gelacht und ihn geneckt hatte, er, Faulenzer, solle sich doch etwas beeilen. Er erinnerte sich daran, wie er mit seiner jungen Frau durch die engen, höhlenartigen Stellen im felsigen Teil gekrochen war und an der schmälsten Stelle geheimnisvoll in ihr Ohr geflüstert hatte: »Spürst du's? Der Boden schwankt.« Es war dort sehr eng gewesen, aber sie hatte es trotzdem fertiggebracht, ihn kräftig auf den Hintern zu schlagen.
    Halleck konnte vor sich selbst (aber niemals vor Heidi) zugeben, daß es gerade diese engen Felsenpassagen waren, die ihn heute ängstigten. In seinen Flitterwochen war er ein schlanker junger Mann gewesen, ein Kind noch, und er hatte eine gute Kondition gehabt, da er gerade von einem Holzfällercamp in Westmassachusetts zurückgekehrt war. Heute war er sechzehn Jahre älter und sehr viel schwerer. Und außerdem, wie der muntere Dr. Houston ihn freundlicherweise informiert hatte, auf dem besten Weg zu einem Herzinfarkt. Die Vorstellung, auf halber Höhe des Berges einen Herzinfarkt zu bekommen, war zwar unangenehm, aber im Augenblick nicht vorrangig; es schien ihm wahrscheinlicher, in einem der engen Felsnadelöhre stecken zu bleiben, durch die der Pfad sich zum Gipfel hinaufschlängelte. Er wußte noch, daß sie damals
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