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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition)
Autoren: Stephan Thome
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bestand. Jetzt ist mein Hut leer. Ich würde gerne, aber ich kann nicht sofort die nächste Idee hervorzaubern. Vielleicht wäre es auch gar nicht gut.«
    »Du wartest darauf, dass ich zurückziehe nach Bonn.«
    »Bestimmt nicht.« Um das zu unterstreichen, steht er auf und setzt sich Maria gegenüber auf die Mauer. Auf der anderen Seite geht es tiefer hinab, als er gedacht hat. Ein paar provisorische Umkleidekabinen stehen im Sand, außerdem zusammengeklappte Sonnenschirme und zwei Pfosten ohne Netz. Es sieht nicht einladend aus, aber er braucht dringend eine Abkühlung.
    »Ich hab darüber nachgedacht«, sagt Maria.
    »Du hast es in Bonn nicht mehr ausgehalten«, entgegnet er bestimmt. »Hast du selbst gesagt. Die Langeweile, die mangelnde Beschäftigung, die zu langen Tage in einem leeren Haus. Damals wollte ich es nicht verstehen, aber jetzt weiß ich, wie sichdas anfühlt. Bei mir waren es zwar nur die Abende, aber das hat mir gereicht. Wie stellst du dir das vor? Was willst du in Bonn machen?«
    »Ich hab nicht gesagt, dass es leicht wird. Aber erstens bin ich es leid, gegen mein schlechtes Gewissen anzukämpfen, und zweitens war Kopenhagen ein Desaster. Ich kann so nicht weitermachen.«
    »Vielleicht willst du mir erst mal davon erzählen«, sagt er und beginnt, sein Hemd aufzuknöpfen.
    »Es wird dir weniger gefallen, als du glaubst.« Ihr Gesicht liegt halb im Schatten. Hinter der Straße steht eine Häuserreihe ohne ein einziges erleuchtetes Fenster. »Was machst du?«
    »Ich gehe schwimmen.«
    »Sei nicht verrückt. Wir reden gerade. Du wolltest, dass ich erzähle.«
    »Es ist nichts Verrücktes dabei, an einem Badestrand zu schwimmen. Ich hab mir einen Sonnenbrand geholt, es war wahnsinnig heiß in Coimbra.« Er zieht sein Hemd aus und will es auf die Bank werfen. Stattdessen landet es auf dem Boden. Vielleicht hat er sogar einen Sonnenstich. Fünf Meter weiter führt eine Treppe zum Strand hinunter.
    »Wir können nicht zurück zu unserem Leben vor deinem Umzug.« Wer hätte gedacht, dass er einmal diesen Satz sagen würde.
    »Und warum nicht?«
    »Weil wir entweder zu viel wissen oder immer noch zu wenig. Tut mir leid, Maria, ich muss mich jetzt abkühlen. Ich weiß auch nicht, was wir stattdessen tun sollen, aber wir dürfen nicht schon wieder den nächstbesten Ausweg nehmen. Das tun wir seit Jahren, und es bringt uns kein Stück voran. Wie nach dem Streit. Wir müssen endlich ... für Klarheit sorgen.«
    »Willst du dich von mir trennen?«, fragt sie. »Ist es das, worauf du hinauswillst?«
    »Vielleicht solltest du dich auch abkühlen.«
    »Du kannst nicht weitermachen wie bisher. Du wirst nichtnach Berlin kommen. Du willst nicht, dass ich zurückgehe nach Bonn. Welchen Schluss soll ich ziehen, Hartmut? Was um alles in der Welt willst du?«
    »Schwimmen.« Entschlossen steht er auf.
    Fassungslos lehnt sie sich auf der Bank zurück und sieht ihm zu. Er nimmt seine Uhr ab und drückt sie ihr in die Hand. Entweder hat Maria diese Kiste im Keller bereits vergessen, oder es ist in Kopenhagen etwas passiert, dessentwegen nicht mehr zählt, wie unglücklich sie in Bonn war. Seine Haut brennt, und gleichzeitig friert er in der nächtlichen Meeresluft. Fürs Erste ist seine Aufnahmebereitschaft erschöpft. Die Hose wird er anbehalten, bis er unten am Wasser ist.
    »Du weißt, dass eine Trennung das Letzte ist, was ich will«, sagt er ruhig. »Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie das wäre. Aber es gab Dinge, von denen ich nichts gewusst habe, und jetzt weiß ich davon, und dadurch ändert sich einiges. Ich hab mit Philippa gesprochen, und sie hat es mir erzählt. Was soll ich sagen? Ich kann’s dir nicht verübeln, wahrscheinlich hab ich meinen Teil beigetragen. Durch Abwesenheit und mangelndes Verständnis. Trotzdem ändert es was.«
    Maria sitzt nach vorne gebeugt auf der Bank, so dass er ihr Gesicht nicht erkennen kann. Er nickt ihr zu und schafft es sogar zu lächeln.
    »Erst wollte ich es nicht glauben. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, du und dieser ... « Das Wort Schund verkneift er sich. »Aber darin bestand eben meine Blindheit, dass ich nicht gesehen habe, wie schlimm die Situation für dich war. Das tut weh, aber es ist besser, als blind zu sein. Einfach wieder die Augen schließen geht nicht. Weißt du noch, wie du zu mir gesagt hast, wir sind stark genug, wir schaffen das. Ich weiß nicht, ob es damals stimmte. Jetzt müssen wir so stark sein.«
    »Und wenn nicht?«
    Einen Moment
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