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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition)
Autoren: Stephan Thome
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hatten plötzlich ein Kind.«
    Die Laterne steht hinter ihnen und wirft sie beide als Schattenriss auf den Asphalt. Wo die Strandpromenade ins Dorf hinein führt, ertönen Stimmen, aber zu sehen ist niemand. Hartmut spürt eine Gänsehaut auf den Armen. Er ist nicht erschrocken, nur erstaunt über den ruhigen Klang ihrer Worte. Dabei spricht er selbst ebenso ruhig.
    »Das klingt, als wolltest du sagen: Es war nicht Liebe, es waren die Umstände. Dazu würde ich gerne zu Protokoll geben, dass das auf mich nicht zutrifft.«
    »Was uns nach Dortmund und später nach Bonn verschlagen hat, Hartmut, waren die Umstände, was denn sonst. Zu denen gehörte, dass du Geld verdient hast und ich nicht. Lass uns nicht über die Vergangenheit streiten. Ist dir überhaupt aufgefallen, dass ich die Frage beantwortet habe, über die du unterwegs angestrengt nachgedacht hast? Ich wollte, dass du nach Berlin kommst. Es war meine Idee.«
    »Okay«, sagt er und hat Mühe, den Überblick zu behalten. Wo sie sich befinden, was sie einander sagen und was daraus folgt. Das Gespräch wird desto unklarer, je ehrlicher sie miteinander sind. »Du hast also die ganze Zeit gewusst, dass ich den Job wechseln wollte. Damals beim Mittagessen und später am Telefon.«
    »Ob du es wolltest, wusste ich nicht. Für mich sah es nach einer Lösung aus, und Peter fand die Idee gut. Er konnte sich das vorstellen. Die Frage war, ob du bereit bist, das Risiko auf dich zu nehmen. Denn natürlich würde es ein Risiko bedeuten. Ich wollte dich nicht überreden, meinetwegen etwas zu tun, das getan zu haben du bereuen wirst, wenn es schiefgeht. Wenn dir der Job nicht gefällt oder es Probleme zwischen Peter und dir gibt. Deshalb hab ich nichts gesagt, sondern Peter hat dir das Angebot gemacht. Du wusstest seit dem Abendessen, dass ich von der Sache weiß. Du hättest es mit mir besprechen oder mit dir selbst abmachen können. So oder so wäre es deine freie Entscheidung gewesen. Darum ging es.« Sie sieht auf ihre Hände, sieht Hartmut an und schaut hinaus aufs dunkle Meer. »Es war eine spontane Idee, ja, aber es war auch ein guter Plan.«
    »Ein guter Plan«, sagt er. »Solange man die Umstände außen vor lässt.«
    »Du hast dich dagegen entschieden.« Sie nickt und rückt näher zu ihm heran. »Das dachte ich mir. Du willst es nicht, du hängst zu sehr an deiner Arbeit.«
    »Ich suche nach einem Ausweg, aber für eine Beurlaubung bis zum Ruhestand fehlt mir die Begründung. Eine, die meine oberste Dienstbehörde akzeptieren würde. Wenn ich stattdessen kündige, verliere ich alle Pensionsansprüche. Ich bin Beamter, Maria, ich kann nicht einfach gehen.«
    »Du könntest. Du willst nicht.«
    »Du behauptest zwar gerne, keinen Wert auf ein gesichertes Auskommen zu legen, aber vielleicht ist das ein bisschen blauäugig. Willst du in zwanzig Jahren vom Erbe deiner Eltern leben oder Philippa auf der Tasche liegen? Wollen wir nach Rapa ziehen und Oliven anbauen?«
    »Ich will wissen, was die Gründe sind.« Der Ernst in ihrer Miene bekommt Risse, weil sie sich über seine Manöver amüsiert. »Nur mal angenommen, dass es keine großen finanziellen Einbußen mit sich bringen würde, wärst du dann bereit, auf deine Professur zu verzichten? Sag schon!«
    »Du hast was in der Hinterhand.« Er schüttelt den Kopf und versucht zu lachen. »Wenn ich jetzt Ja sage, wirst du mich darauf festnageln. Was ist es? Hat Artur dir endlich verraten, wie viel Geld er gebunkert hat?«
    »Nein.« Maria lässt von ihm ab und atmet tief durch. »Ich hab nichts in der Hinterhand, im Gegenteil. Nach eurem Gespräch im Verlag hat Peter einen Rückzieher gemacht. Er meint, es würde nicht funktionieren. Du bist Philosoph. Als solcher stellst du alles in Frage und analysierst es bis ins letzte Detail. Außerdem bist du nicht daran gewöhnt, Anweisungen entgegenzunehmen. Er hat fast geweint, als er mir von eurem Gespräch erzählt hat. Er wollte nicht Nein sagen, und er hätte es dir niemals ins Gesicht sagen können, aber er muss an seinen Verlag denken. Glaub mir, ich wollte sauer auf ihn sein, aber er saß vor mir wie ein Häufchen Elend. Er mag dich und hat Angst, dass du nie wieder mit ihm redest. Das war an dem Montag, bevor ich nach Kopenhagen geflogen bin.« Mariaseufzt. »Er musste eine ganze Flasche Wein trinken, bevor er damit herauskam.«
    »Verstehe«, sagt er und wundert sich, wie schmerzfrei Desillusionierung sein kann. Wie widerstandslos er Peters Einschätzung als zutreffend
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