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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition)
Autoren: Stephan Thome
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lediglich sein Lachen und ist erstaunt, wie spontan und ungezwungen es klingt. Maria zögert einen Moment, bevor sie den Kopf schüttelt über sich selbst.
    »Verrückt, oder?« Ratlos schaut sie über die Doppelreihen geparkter Wagen. »Waren wir schon immer so?«
    »Vielleicht willst du die Frage noch mal in ihrem Beisein stellen«, sagt er immer noch lachend. »Die mit dem Verbieten. Das könnte interessant werden.«
    Gemeinsam steigen sie ein. Direkt vor ihnen, in einem roten BMW Coupé, knutscht ein junges Pärchen.
    »Weißt du noch«, sagt Maria, »wie du vor ein paar Tagen am Telefon gesagt hast, wir seien die Parodie unserer selbst. Das geht mir nicht aus dem Kopf. Warum Parodie? Wegen solcher Dinge wie gerade?«
    »Es war nur eine Bemerkung. Ich weiß nicht mehr, was ich damit gemeint habe. Es ging um Philippa, und wahrscheinlich wollte ich sagen, wir wussten es die ganze Zeit und haben getan, als wüssten wir’s nicht, weil wir dann so tun konnten, als würde es uns nichts ausmachen. Was wir schließlich von uns verlangen. Dass uns so was nichts ausmacht. Unseren Eltern ja, uns nicht. Richtig?«
    »Hast du sie gefragt, ob sie’s in Rapa erzählen will?«
    »Sei beruhigt, das hat sie nicht vor. Aber es wird ihr einziges Zugeständnis bleiben, daran hat sie keinen Zweifel gelassen. Alle anderen müssen es entweder akzeptieren, oder sie können ihr gestohlen bleiben.«
    »Wir haben uns also was vorgemacht.« Maria schnallt sich noch einmal ab, um die Strickjacke auszuziehen. Erst jetzt fällt ihm auf, wie stickig und verbraucht die Luft im Wagen ist. »Keine Ahnung, ob das stimmt. Seit ich es weiß, denke ich zurück an dies und das, und sicherlich gab es Anzeichen, wir hätten es wissen können, aber ... Nein. Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen.«
    »Wahrscheinlich hab ich mich schlecht ausgedrückt. Ich meinte, wir finden es nicht schlimm, es zieht uns bloß den Boden unter den Füßen weg. Hätte ich sagen sollen, unser Leben ist die Parodie unserer Träume? Das wäre vielleicht treffender gewesen.« Statt über Philippa zu reden, würde er es lieber den beiden im BMW nachtun. Die Wagen stehen frontal zueinander, Stoßstange an Stoßstange, aber das Pärchen knutscht und fummelt so ungeniert, als wären sie zu Hause. Die Hand des Mannes ist unter der Bluse seiner Partnerin verschwunden. Es ist ein merkwürdiger Anblick aus ihrem unfreiwillig bezogenen Logenplatz. Um nicht an Katharina und ihn denken zu müssen, sucht Hartmut nach einer spöttischen Bemerkung, zuckt mit den Schultern und blickt zum Beifahrersitz. Entsetzt sieht Maria ihn an.
    »Wie kannst du so was sagen? Unser Leben ist was?«
    »Ich meinte ...« Einen Moment lang weiß er nicht einmal, was er gesagt hat. Es war eine hingeworfene Bemerkung, mehr nicht. Die Grausamkeit seiner Worte wird ihm zu spät bewusst. »Ich meinte das nicht so.«
    »Sondern?« Maria ringt um Fassung, er kann nur den Kopf schütteln.
    »Weiß ich nicht. Ich meinte gar nichts. Lass uns fahren, bevor die beiden da richtig loslegen.«
    Das Pärchen schreckt auf, als Hartmut die Scheinwerfer einschaltet und zurücksetzt. Raus aus der Tiefgarage, vorbei an leuchtenden Werbeschildern, hinein in die nächtliche Finsternis. Das Navigationsgerät schaltet sich ein, und der Monitor zeigt die langsame Veränderung ihrer Position. Instinktiv vermeidet Hartmut die Richtungen Porto und Lissabon, biegt ein paar Mal planlos ab und findet sich auf der nordwärts führenden N 13. Gegen die Stille im Auto stellt er Musik an, widersteht dem Zucken in seinem rechten Fuß und setzt alle weiteren Entscheidungen vorläufig aus. Wenn Maria nach Rapa will, muss sie es sagen. Es ist ihr Vater, nicht seiner. Nervös dreht sie an der Klimaanlage und sucht neutralen Boden, das erkennt er am Tonfall ihrer Frage: »Was ist das für Musik?«
    »Eine Band von den Kapverden. Hab ich gestern an der Cerca Moura gesehen. Das Cover liegt im Handschuhfach.«
    »An der Cerca Moura«, sagt sie leise und lehnt sich im Sitz zurück. »Nachdem du mir am Telefon gesagt hattest, dass du seit einer Woche unterwegs bist, hab ich versucht, mir das vorzustellen – wie du reist, was du machst, wie’s dir geht. Dann war ich erschrocken, weil ich’s nicht konnte.«
    »Ist das eine Frage?«
    »Nein. Warst du alleine dort? Gestern.«
    »Philippa wollte nicht mit. Sie musste dringend telefonieren.«
    Breite freie Straßen wären ihm lieber, aber einstweilen sind sie eng und führen durch kleine, nahtlos
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