Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
Autoren: Alan Bradley
Vom Netzwerk:
am feuchten Wetter liegen.«
    »Ich glaube eher, die Orgel ist soeben krepiert«, erwiderte ich. »Du hast sie kaputt gemacht.«
    Das musste Feely erst mal sacken lassen. »Gib mir die Taschenlampe«, sagte sie schließlich. »Wir müssen nachschauen.«
    Wir?
    Immer wenn Feely in Panik geriet, wurde aus »ich« im Handumdrehen »wir« . Die Orgel von St. Tankred war in das Verzeichnis historischer Orgeln der Königlichen Musikhochschule aufgenommen worden. Sie zu beschädigen galt vermutlich als Staatsverbrechen.
    Feely graute jetzt schon davor, dem Vikar die schlechte Nachricht zu überbringen.
    »Und vergib uns unsere Schuld«, sagte ich. »Wie kommt man denn an die Innereien?«
    »So!« Feely schob ein Stück der geschnitzten Holzverkleidung neben dem Spieltisch der Orgel auf. Es ging so schnell, dass ich den Trick leider nicht mitbekam.
    Sie knipste die Taschenlampe an, duckte sich und verschwand in der engen Öffnung. Ich holte tief Luft und folgte ihr.
    Wir befanden uns in einer muffigen, mit Stalagmiten ge-spickten Aladinhöhle. Im wandernden Schein der Taschenlampe ragten überall Orgelpfeifen auf: hölzerne Pfeifen, metallene Pfeifen, Pfeifen aller Sorten und Größen. Manche waren klein und schmal wie Bleistifte, manche groß und dick wie Abflussrohre, und manche hatten den Umfang von Telefonmasten. Es war weniger eine Höhle, fand ich, als ein Wald aus Riesenflöten.
    »Was sind das für welche?« Ich deutete auf eine Reihe hoher, kegelförmiger Pfeifen, die mich an die Blasrohre von Pygmäen erinnerten.
    »Das ist das Gemshornregister. Angeblich klingen die Pfeifen wie alte aus Ziegenhorn geschnitzte Hirtenflöten.«
    »Und die hier?«
    »Das sind die Rohrflöten.«
    »Weil sie wie Abflussrohre klingen?«
    Feely verdrehte nur die Augen.
    Plötzlich ertönte ein zischendes Röcheln, und ich schlang erschrocken den Arm um Feelys Taille.
    »Was war das?«, flüsterte ich.
    »Die Windlade.« Meine Schwester richtete die Taschenlampe auf die gegenüberliegende Ecke.
    Der Lichtstrahl holte eine riesige Truhe mit Ledertaschen aus der Dunkelheit, die mit asthmatischem Keuchen und Pfeifen Luft ausstieß.
    »Super!«, sagte ich. »Wie das Akkordeon von einem Riesen.«
    »Du sollst nicht immer ›super‹ sagen«, ermahnte mich Feely. »Du weißt doch, dass Vater das nicht leiden kann.«
    Ohne darauf einzugehen, schob ich mich zwischen den kleineren Pfeifen hindurch und schwang mich auf die Windlade. Die Truhe gab ein erstaunlich lebensechtes, unanständiges Geräusch von sich und fiel noch mehr in sich zusammen.
    Eine Staubwolke wirbelte auf und ich nieste: ein-, zwei-, dreimal.
    »Komm sofort da runter, Flavia! Das alte Leder kann leicht reißen!«
    Ich richtete mich zu meiner vollen Größe von einssiebenundvierzigeinhalb auf. Für mein Alter – ich werde bald zwölf – bin ich ziemlich groß.
    »Haruh!«, rief ich und ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. »Alles hört auf mein Kommando!«
    »Wenn du nicht sofort da runterkommst, sag ich’s Vater!«
    »Guck mal, Feely – hier oben liegt ein alter Grabstein.«
    »Weiß ich. Der Stein soll die Windlade zusätzlich beschweren. Komm jetzt runter. Aber vorsichtig.«
    Ich wischte den Staub mit der Hand weg. » Hezekiah Whytefleet. 1679 bis 1778. Nicht schlecht! Neunundneunzig ist er geworden. Wer das wohl gewesen ist?«
    »Ich mache gleich die Taschenlampe aus! Dann stehst du im Dunkeln.«
    »Ist ja gut. Ich komme. Sei doch nicht so langweilig!«
    Als ich das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte, sank die Windlade schwankend noch tiefer ein, sodass ich mir wie auf dem Deck eines vollgelaufenen Schiffes vorkam.
    Etwas flatterte an Feelys Gesicht vorbei. Sie wurde starr vor Schreck.
    »Wahrscheinlich bloß eine Fledermaus«, sagte ich.
    Feely kreischte auf, ließ die Taschenlampe fallen und war verschwunden.
    Auf der Liste der Dinge, die das Hirn meiner Schwester in Wackelpudding verwandelten, standen Fledermäuse ganz oben.
    Wie zur Bestätigung hörte ich es abermals flattern.
    Ich kletterte vorsichtig von meinem Podest, hob die Taschenlampe auf und fuhr mit dem Strahl über die aufgereihten Pfeifen wie über einen Lattenzaun.
    Wildes Geflatter hallte in der Kammer wider.
    »Ist schon gut, Feely«, rief ich. »Die Fledermaus steckt in einer Orgelpfeife fest.«
    Ich schlüpfte wieder nach draußen. Feely stand in einem Strahl schräg einfallenden Mondlichts vor der Orgel, weiß wie eine Alabasterstatue und die Arme fest um sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher