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Flatline

Flatline

Titel: Flatline
Autoren: Erwin Kohl
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erzähle ich es noch einmal. Wir hatten abends eine Besprechung im Altstadt Eck. Auf dem Weg ins Hotel bin ich hier vorbeigekommen. Ich musste plötzlich ganz dringend pinkeln, da bin ich in diese Hofeinfahrt. Und da saß dieser Typ da hinten auf der Bank. Er kochte sich auf dem Löffel mit dem Feuerzeug ein Süppchen. Ich habe ihn freundlich gegrüßt, da fährt der mich sofort an. Verpiss dich, du Wichser, hat er gerufen. Ich bin sofort abgehauen.«
    »Und haben die Polizei verständigt.«
    »Soll ich mir das bieten lassen? Bei meinem Handy war der Akku leer, ich habe Ihre Kollegen vom Hotel aus verständigt.«
    »Gut. Wir brauchen Ihre Aussage noch fürs Protokoll. Wenn Sie im Laufe des Tages kommen könnten …«
    »Nicht nötig. Habe ich eben im Wagen Ihrer Kollegen gemacht. Ich reise heute ab. Ein Seminar. Falls Sie sich das mit der Versicherung noch mal überlegen, meine Nummer haben Sie ja.«
     
    Während Bungert die Spurensicherung und einen Arzt herbeitelefonierte, sah Kalle sich um. Unter einem teilweise verrotteten Wellblechdach befand sich eine alte, gusseiserne Bank. Der Löffel und das Einwegfeuerzeug deuteten darauf hin, dass hier der letzte Schuss vorbereitet worden war. Er blickte in den wolkenverhangenen Krefelder Himmel. Der schmutzige Putz der hohen Wände, die diesem Hinterhof jede Fröhlichkeit raubten, war an vielen Stellen abgeblättert. Vereinzelt behaupteten Efeupflanzen ihr Dasein im brüchigen Beton des Hofes. Nach wenigen Metern verkümmerten sie zu dürren Zweigen an den Wänden. Kalle suchte den Boden nach Schleifspuren ab. Mittlerweile kamen auch ihm Zweifel. Er kannte die Gegend. Hier wohnten biedere Menschen. Arbeiterfamilien im Dreizimmerglück. Schule, Arbeit, Rente. Highlights gab es hier nicht viele. Jede noch so kleine Abwechslung würde man hier freundlich empfangen. Ein Fixer auf diesem Hinterhof wäre so auffällig wie ein Iglu in der Wüste. Aus dem Augenwinkel nahm er einen leuchtenden Farbtupfer wahr. Als er sich herumdrehte, lief Eugen Strietzel mit einem knappen Gruß an ihm vorüber. Die hellroten Haare des Gerichtsmediziners schienen die einzige Auflockerung dieses tristen Februarmorgens darzustellen. Mit einem kurzen Blickkontakt drängte er Bungert beiseite und inspizierte den Toten.
    »Welcher Idiot hat die Einfahrt zugeparkt?«
    Mit zwei Koffern in den Händen und einer Tasche unter dem Arm betrat Max Drescher den Innenhof, gefolgt von ebenfalls bepackten Kollegen der Spurensicherung. Missmutig baute er seine fast zwei Meter große, stämmige Figur vor Kalle auf und ließ die Koffer fallen. Kalle hatte nicht mit einem längeren Aufenthalt gerechnet und auf die Parkplatzsuche verzichtet. Er hatte Drescher selten mit guter Laune erwischt, aber heute übertraf der Spurensucher sich selbst.
    »Goldener Schuss, sehe ich von hier aus!«
    Kalle wirkte hilflos. Beinahe hatte er das Gefühl, er müsse Drescher anflehen, seine Arbeit aufzunehmen. Strietzel kam auf die beiden zu. Kalle beschlich eine unangenehme Ahnung.
    »Tod durch Herzversagen, hervorgerufen durch ein Toxin. Ich vermute mal Heroin. Absolute Sicherheit wird zwar erst die Obduktion ergeben, aber …«
    Der Gerichtsmediziner winkte lässig ab und verabschiedete sich. Kalle wollte zu einer Frage ansetzen, als Eugen Strietzel bereits in der Durchfahrt verschwand. Der Doktor machte sich gerne persönlich ein Bild vom Tatort. Diesen Ort schien er nicht für einen solchen zu halten.
    »Dann kann ich ja wieder verschwinden«, knurrte Drescher kopfschüttelnd. Als Bungert ihm seine Zweifel erklärte, nahm Drescher widerwillig die Arbeit auf. Der Fundort eines Drogentoten wurde immer erkennungsdienstlich behandelt, ebenso war die Obduktion in einem solchen Fall Formsache. Für gewöhnlich ließ Drescher aber bei solchen Gelegenheiten seine Assistenten zurück und widmete sich anderen Aufgaben. Bungert hatte es geschafft, den Ehrgeiz des kauzigen Kriminaltechnikers zu wecken. So benötigte er nur wenige Minuten, um eine erste Auffälligkeit zu entdecken.

3
    Die Stimmung in der Wohnküche war gedrückt. Gunther Trempe goss seinem Sohn noch einen Kaffee ein, während er selbst Kamillentee trank. In einen dicken Frotteemantel gehüllt und mit einem Schal, den er mehrfach um den Hals gewickelt hatte, blickte er Joshua traurig an. Der Arzt hatte eine Grippe diagnostiziert und ihm absolute Bettruhe verordnet. Diese Untätigkeit war dem pensionierten Kriminalrat allerdings zuwider. Joshua kannte ihn sehr gut. Er
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