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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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gesessen, aber im Moment schläft das Mädchen in dem Zimmer für Angehörige.
    Summa sieht schwaches Tageslicht durch die Fasern des Vorhangs hereinfallen und denkt, dass der Mensch unrettbar einsam ist. Sie hat einige gute Erinnerungen, die sie immer dann aufruft, wenn sie sich besonders allein fühlt oder große Angst hat. Als die Ärzte sie vor der Operation in Narkose versetzten, rief sie sich diese Augenblicke ins Gedächtnis.
    Die hellen, hellen Sommernächte, als sie ein Kind war.
    Der Moment, als ihre Tochter geboren wurde und ihre Fingerchen um ihren Daumen schloss.
    Die Hochzeit an jenem Sommertag, an dem sie die Brautkrone trug, die ihre Mutter aus Birkenwurzeln geflochten hatte.
    Summa schluckt und spürt, dass sie lebt, dass ihr Herz schlägt, aber sie hat furchtbare Angst davor zu sterben und Lumi allein zurückzulassen.
    Als sie sich umdreht, brennen die Stiche ihrer Operationsnaht. Sie schließt die Augen, öffnet sie dann aber wieder.
    Sie muss mehrmals zwinkern und erkennt schließlich, dass er ihre Nachricht bekommen hat.
    Joona Linna beugt sich über sie, und sie berührt sein Gesicht und streicht mit den Händen durch seine dichten blonden Haare.
    »Wenn ich sterbe, musst du dich um Lumi kümmern«, flüstert sie.
    »Das verspreche ich dir.«
    »Und du musst sie sehen, bevor du gehst«, sagt sie. »Du musst sie sehen.«
    Er legt die Hände um ihre Wangen, er streichelt ihr Gesicht und flüstert ihr zu, dass sie so schön ist wie eh und je. Sie lächelt ihn an. Dann ist er verschwunden, und Summa hat keine Angst mehr.

    Das Zimmer für die Angehörigen ist schlicht möbliert, an der Wand hängt ein Fernsehapparat und ein Kiefernholztisch voller Brandflecken von Zigaretten steht vor einer durchgesessenen Couch.
    Auf dieser Couch liegt ein fünfzehnjähriges Mädchen und schläft. Ihre Augen brennen vom vielen Weinen, und das Kissen hat auf ihrer Wange ein Streifenmuster hinterlassen. Sie wacht plötzlich mit einem seltsamen Gefühl auf. Irgendwer hat sie zugedeckt. Ihre Schuhe sind ausgezogen worden, sie stehen neben ihr auf dem Fußboden.
    Jemand ist bei ihr gewesen. In ihrem Traum hat jemand bei ihr gesessen und ganz behutsam ihre Hand in seiner gehalten.

191
    AN DER ALTEN LANDSTRAßE , genau zwischen Stockholm und Uppsala, steht das Löwenströmsche Krankenhaus. Gustaf Adolf Löwenström ließ die Klinik Anfang des 19. Jahrhunderts errichten, um die große Schuld seiner Familie zu sühnen. Sein Bruder hatte auf dem Maskenball der Oper König Gustav III. ermordet.
    Anders Rönn ist dreiundzwanzig Jahre alt und frisch examinierter Arzt. Er ist schlaksig und hat ein schönes, feinfühliges Gesicht. Heute ist sein erster Arbeitstag im Löwenströmschen Krankenhaus. Die tiefstehende Herbstsonne spielt zwischen den Wipfeln der Bäume, als er an dem großen Eingang vorbeigeht.
    Hinter dem modernen Hauptgebäude des Krankenhauses aus rotbraunem Backstein befindet sich ein merkwürdiger Anbau. Von oben gleicht er zwei zusammengefügten Lilienkreuzen. Das ist die große psychiatrische Abteilung, zu der auch die Gerichtspsychiatrie und ein Hochsicherheitstrakt gehören.
    Auf dem Waldhang steht eine Bronzefigur, ein Flöte spielender Junge. Auf der Schulter und dem breitkrempigen Hut des Jungen sitzt jeweils ein Vogel.
    Auf der einen Seite des Fußwegs breitet sich eine pastorale Landschaft mit Viehweiden bis zum Ufer des Fysingen aus, auf der anderen Seite erhebt sich ein fünf Meter hoher Stacheldrahtzaun vor einem schattigen Rastplatz mit Zigarettenkippen rund um eine einsame Parkbank.
    Kein Besucher der psychiatrischen Abteilung darf unter vierzehn Jahre alt sein, Fotos und Tonaufnahmen sind verboten.
    Anders Rönn geht über die Betonplatten, gelangt unter ein Vordach aus Blech, von dem Farbe abblättert, und tritt durch die Glastüren.
    Auf dem elfenbeinfarbenen PVC-Boden mit den Reifenspuren von Krankenhausbetten sind seine Schritte fast lautlos. Als er zum Aufzug kommt, merkt er, dass er sich bereits im zweiten Stock befindet. Die erste Etage liegt hier unterirdisch und beherbergt Abteilung 30, die geschlossene gerichtspsychiatrische Station. Der Aufzug des Krankenhauses fährt nicht tiefer, aber hinter einem cremegelben Stahltor befindet sich eine Wendeltreppe, die zur Etage null hinabführt.
    Das ist der Hochsicherheitstrakt mit seinen bunkerartigen Isolierzellen.
    Diese Abteilung kann maximal drei Patienten aufnehmen, aber in den letzten zwölf Jahren war es nur einer, der gealterte Jurek
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