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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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mal?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Jetzt kommt der Affe mit seinen langen Armen«, scherzte er.
    Er hob sie hoch, spürte den Widerstand des kleinen Körpers und wie sie lachte, obwohl sie eigentlich nicht wollte, obwohl sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Sie versuchte zu treten, um herunterzukommen, aber er hielt sie an sich gedrückt, nur für einen kurzen Moment, um den Geruch ihres Halses und Nackens einzusaugen.
    »Dummi«, schrie sie.
    »Lumi«, flüsterte er an ihrer Wange. »Vergiss nie, dass ich dich mehr liebe als alles andere.«
    »Komm jetzt«, sagte Summa.
    Er ließ seine Tochter herunter und versuchte sie anzulächeln, wollte ihre Wange streicheln, konnte es aber nicht. Es kam ihm vor, als wäre sein Körper aus zerbrochenem Glas, das man wieder zusammengesetzt hatte. Summa sah ihn mit schreckerfülltem, erstarrtem Gesicht an, nahm Lumis Hand und zog sie mit sich.
    Schweigend warteten sie auf den Zug. Es gab nichts mehr zu sagen. Sachte trieben flaumige Pusteblumenschirme über die Gleise.
    Joona erinnert sich, dass der Brandgeruch von Bremsabrieb noch in der Luft hing, als der Zug sich schon vom Bahnsteig entfernte. Wie in einem Traum stand er da und betrachtete durch die Glasscheibe das blasse Gesicht seiner Tochter und die kleine Hand, die vorsichtig winkte. Neben ihr saß Summa wie ein gelähmter schwarzer Schatten. Noch bevor der Zug hinter der Biegung Richtung Hafen verschwunden war, wandte er sich um und ging zum Auto.

188
    ER FUHR EINHUNDERTVIERZIG KILOMETER , ohne zu denken. Sein Kopf war leer und erschreckend abwesend.
    Er fuhr ohne Erinnerung.
    Schließlich kam er an.
    In der Dunkelheit beleuchteten seine Scheinwerfer schwere, schwarze Metallsilhouetten. Er bog in das große Industriegebiet im mittelschwedischen Ludvika ein und fuhr zu dem menschenverlassenen Hafen am Heizkraftwerk. Dort parkte zwischen zwei riesigen Haufen aus Sägespänen bereits ein großer, grauer Wagen. Plötzlich überkam ihn eine seltsame Ruhe, und ein Teil von ihm begriff, dass er unter einer Art Schock stand.
    Er stieg aus dem Auto und schaute sich um. Åhlén erwartete ihn in der nächtlichen Dunkelheit vor der Autotür. Er trug einen weißen Overall, sein Gesicht war verbissen, und er wirkte abgekämpft.
    »Und? Sind sie weg?«, fragte er mit der schneidenden Stimme, die er immer dann hatte, wenn ihm etwas zutiefst zuwider war.
    »Sie sind weg«, bestätigte Joona kurz.
    Åhlén nickte zwei Mal kurz. Sein weißes Brillengestell schimmerte kühl im schwachen Licht einer weiter entfernt stehenden Straßenlaterne.
    »Du hast mir keine Wahl gelassen«, sagte er verbittert.
    »Das ist wahr«, erwiderte Joona. »Du hast keine Wahl.«
    »Wegen dieser Sache werden sie uns beide feuern«, erklärte Åhlén mit regungslosem Gesicht.
    »Dann ist es eben so«, entgegnete Joona.
    Sie gingen um den Wagen herum.
    »Es sind zwei, als sie hereinkamen, habe ich sofort reagiert.«
    »Gut.«
    »Zwei«, wiederholte Åhlén wie zu sich selbst.
    Joona denkt daran, dass er zwei Tage zuvor neben seiner Frau und seiner Tochter davon geweckt wurde, dass in seiner Jacke im Flur das Handy surrte.
    Jemand schickte ihm eine SMS. Als er aufstand und sah, dass sie von Åhlén war, begriff er sofort, worum es ging.
    Ihre Absprache lautete, dass er mit Summa und Lumi unverzüglich unter dem Vorwand einer Urlaubsreise aufbrechen würde, sobald Åhlén zwei passende Leichen gefunden hätte.
    Joona hatte fast drei Wochen darauf gewartet, von Åhlén zu hören.
    Die Zeit wurde allmählich knapp. Er wachte über das Wohl seiner Familie, aber ihm war bewusst, dass dies auf Dauer nicht reichen würde. Jurek Walter war ein Mann, der warten konnte.
    Joona wusste genau, Åhléns Mitteilung bedeutete, dass er seine Familie verlieren würde. Aber er wusste auch, dass er Summa und Lumi so endlich würde schützen können.
    Nun öffnete Åhlén die beiden Hecktüren des grauen Wagens.
    Auf zwei Bahren sah man von Stoff bedeckt die Konturen eines größeren und eines kleineren Körpers.
    »Es handelt sich um eine Frau und ein Mädchen, sie sind ohne Fremdeinwirkung verunglückt«, erläuterte Åhlén und begann, die Bahren über die Gleitschienen herauszuziehen.
    »Ich habe sie weggezaubert«, fuhr er fort. »Es gibt sie nicht, es existiert nicht die geringste Spur, ich habe alles gelöscht.«
    Er stöhnte, als er die Leichen ins Freie bugsierte. Das Untergestell der Bahren wurde ausgeklappt, und die Metallbeine schepperten mit ihren kleinen Rädern über
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