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Flammen der Rache

Flammen der Rache

Titel: Flammen der Rache
Autoren: Shannon McKenna
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»gut« bezeichnen. Gut stand in diesem Fall für »nicht tot«. Es war alles nur eine Frage der Perspektive.
    Und nun war sie auf dem Weg zu ihrem allmonatlichen Martyrium. Das Scheckbuch griffbereit, ihr Magen schmerzhaft verkrampft. Howard wegzusperren war das Einzige, was sie für ihn tun konnte. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Sie wäre fast draufgegangen bei dem Versuch, ihm selbst zu helfen, als sie noch jung und naiv gewesen war. Sie kannte sich aus mit Sucht, Co-Abhängigkeit und all dem Kram. Sie hatte Arbeiten zu diesen Themen geschrieben und Onlineprüfungen darüber abgelegt. Im Namen anderer natürlich. Sie war ein Profi auf dem Gebiet.
    Ihre Besuche schenkten Howard keinen Trost. Er bat sie nie, zu kommen. Tatsächlich flehte er sie an wegzubleiben. Das war echt aufbauend. Ihr eigener Vater bettelte sie an, ihn nicht zu besuchen.
    Warum also fühlte sie sich genötigt, jeden Monat hinzufahren?
    Ihre beste Freundin Nina, eine Sozialarbeiterin, die in einem Heim für misshandelte Frauen tätig war und selbstzerstörerisches Verhalten schon in jeder Variante gesehen hatte, sagte ihr immer, dass sie von Schuld getrieben wurde, aber Lily kaufte ihr das nicht ab. Wer hatte schon Zeit für Schuldgefühle?
    Lily war eine dahintreibende Wolke, ein körperloses Wesen. Losgelöst und kalt, außer in Bezug auf Nina und eine ausgewählte Handvoll anderer Freunde, doch Nina war ihre Nummer eins. Dank ihr bewahrte sich Lily ein Mindestmaß an Menschlichkeit. Nicht, dass sie Zeit für ein Sozialleben gehabt hätte. Die hatte sie ebenso wenig wie für Gefühle.
    Schwachsinn
, hörte sie Ninas Stimme in ihrem Kopf.
Deine Gefühle würden dich überrollen wie ein Sattelschlepper, wenn du sie zulassen würdest. Du hast sie nur auf Eis gelegt
.
    Lily dachte mit einem Anflug von Bitterkeit daran. Und wenn schon. Verleugnung war der einzig richtige Weg. Sie musste das Hamsterrad in Bewegung halten, um die Gebühren für Aingle Cliff aufzubringen, durfte keinen Gedanken an die Ironie oder an Moral verschwenden. Den schlechten Beigeschmack schluckte sie einfach runter. Sie erledigte die Aufträge, bezahlte die Rechnungen, stellte die Schecks aus.
    Pass nur auf, dass du dabei nicht selbst unter die Räder kommst
.
    Sie waren fast am Ziel. Lily klappte den Laptop zu und betrachtete die imposante Fassade von Aingle Cliff House, als sie die gewundene Auffahrt hochfuhren.
    Ein dummer Name für diese Klink. Es gab weit und breit keine Klippen. Tatsächlich schien das Gebäude in einem Kessel zu liegen. Es war nicht gerade ein beruhigender Name für eine Einrichtung, in der man suizidgefährdete Menschen unterbrachte. Als Lily das Wort »Cliff« gehört hatte, hatte ihr sofort ein Szenario vor Augen gestanden: ein Sprung mit Anlauf, ein tiefer Fall und ein
Platsch
beim Aufprall auf dem Boden. Solche verdrehten Gedanken waren typisch für sie.
    Das Taxi stoppte. Sie blieb reglos sitzen.
    »Äh … Miss?«, fragte der Fahrer. »Ist alles, ähm …?«
    Lily zückte ihr Portemonnaie. »Können Sie mich in einer Stunde hier abholen?«
    Der Taxifahrer willigte ein. Lily bezahlte ihn, in dem unangenehmen Bewusstsein, wie wenig Geld ihr nur noch blieb. Sie brauchte alles für den Scheck, den sie gleich unterschreiben würde, darum hatte sie kaum mehr genug, um zurück zum Bahnhof zu gelangen. Ein Trinkgeld für den Taxifahrer würde auf dem Rückweg nicht mehr drin sein. Wie peinlich.
    Das Taxi fuhr davon. Lilys Sneakers knirschten auf dem Kiesweg, als sie zu dem eindrucksvollen Gebäude hinauflief. Überall tummelten sich Patienten im Freien, um die Nachmittagssonne zu genießen. Howard war nicht darunter. Patienten, die als Gefahr für sich selbst eingeschätzt wurden, waren in einer speziellen Abteilung untergebracht. Howard war diesbezüglich ein besonderer Fall. Er hatte schon achtmal versucht, sich umzubringen, womöglich sogar öfter. Die Vorfälle waren mit der Zeit in ihrer Erinnerung ineinander übergegangen.
    Beim ersten Mal war Lily fünfzehn gewesen und gerade von der Schule heimgekommen, als sie ihren Vater mit blauem Gesicht und kaum mehr atmend vorgefunden hatte. Wäre sie an jenem Nachmittag wie geplant nach dem Unterricht zu ihrem Nachhilfejob gegangen, wäre er bereits tot gewesen. Das war selbstverständlich sein Plan gewesen.
    An diesem Tag hatte sie aufgehört, ihn Dad zu nennen. Sie war die Erwachsene, nicht er. Sie war es schon seit einigen Jahren. Ihre Mutter war am Tag von Lilys Geburt gestorben, darum
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