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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee
Autoren: Wendy Wunder
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Schmerzen.
    Sie spürte eigentlich gar nichts. War das ihr Fuß, der da mit abgeblättertem schwarzen Nagellack auf den Zehen unter dem Laken herausragte? Musste es wohl sein. Das war peinlich. Ohne anständige Pediküre an der Schwelle zum Tod angetroffen zu werden. Sie fragte sich, ob der Leichenbestatter ihre Fußnägel schwarz lackieren würde. Was machen sie bloß mit den Zehen? , überlegte sie. Deckten sie wahrscheinlich einfach zu. Auch gut.
    Sie hörte das vertraute, gedämpfte Murmeln Alicias im Gespräch mit einem Arzt und wusste, dass es sich bald zu lautem Geschrei steigern würde. Spätestens dann, wenn er ihr sagte, was Cam bereits wusste. Dass dies das Ende war.
    Die Hospizschwester war schon da gewesen, und Cam hatte ihr Gespräch mit Perry mitgehört.
    »Es wird bald vorbei sein, dann, wenn die Fingernägel anfangen, sich blau zu färben.«
    »Blau wie bei blauen Lippen oder blau, wie wenn ein geklemmter Fingernagel abfällt?«, fragte Perry.
    »Wie bei den Lippen«, sagte die Schwester und ging, nachdem sie ein paar Informationsbroschüren über Tod und Sterben dagelassen hatte.
    »Nein, das kann nicht sein!«, hörte Cam Alicia brüllen. »Sie hätten sie mal vor zwei Tagen sehen sollen. Es ging ihr bestens. Wie kann es innerhalb von zwei Tagen so weit gekommen sein?«
    »Ich denke, sie kämpft schon sehr lange dagegen an. Sieben Jahre, heißt es auf ihrem Krankenblatt«, antwortete der Doktor.
    »Ja, aber das war vorher«, sagte Alicia.
    »Vor was?«
    »Was weiß ich«, seufzte Alicia. »Bevor wir sie hierher nach Maine gebracht haben. Es ging ihr viel besser hier.«
    »Die Patienten erleben oft eine Phase des Wohlbefindens oder der Remission vor einem schweren Schub. Wir verstehen das noch nicht so ganz. Es gibt so vieles, was wir noch nicht wissen«, gestand der Arzt.
    »Nein, es gibt vieles, was Sie noch nicht wissen«, entgegnete Alicia. »Bei Cam war es anders. Sie hatte sich wirklich erholt. Es war nicht nur eine Phase des Wohlbefindens. Ich möchte jetzt mit jemandem sprechen, der weiß, wovon er redet.«
    »Bei allem Respekt, Mrs. Cooper …«
    »Sofort! Ich will einen anderen Arzt hier haben, der meine Tochter nicht einfach aufgibt!«
    »Mrs. Cooper …«
    »Mom«, stöhnte Cam unwillkürlich. »Lass den Mann in Ruhe, ja? Er tut sein Bestes.«
    »Cam?«
    »Es wird jetzt Zeit, dass du etwas Nettes zu mir sagst. Du weißt schon, in dem Stil: ›Du warst die beste Tochter, die ich mir hätte wünschen können.‹ Okay, abgesehen von Perry. Und: ›Ich bin sehr glücklich, dass ich dich gekannt habe. Es war mir eine Ehre, deine Mutter zu sein.‹ Und so weiter. Stehen nicht ein paar Texte in der Broschüre des Hospizes, wenn man nicht weiß, was man sagen soll?«
    »Ich weiß, was ich sagen will, Campbell.«
    »Dann raus damit, okay? Dir selbst zuliebe«, sagte Cam.
    Ihre Mom seufzte noch einmal tief, ließ die Arme hängen und kam zu ihrem Bett.
    »Du kannst die Tiefe meines Kummers nicht ermessen, Campbell Maria Cooper.« Alicia biss in ihre Faust, hielt sich mit der anderen Hand am Bettgestell fest und atmete tief durch, ehe sie weitersprach. »Ich werde nie wieder dieselbe sein, wenn du fort bist. Die Welt wird für mich trüb und grau und flach sein. Aber eines wird mir helfen weiterzumachen, Campbell, und das ist mein Glaube an meine untrennbare Verbindung zu dir. Da gibt es etwas. So ein verrücktes, inniges Gefühl von Liebe, das ganz und gar wirklich ist. So wie diese Tasse wirklich ist oder dieses Telefon. Und das wird nicht einfach mit dir verschwinden, okay? Wo du auch hingehst, du wirst durch dieses Etwas mit mir verbunden bleiben und nie, niemals allein sein, verstanden? Das sollst du wissen.«
    »Wow, stand das in der Broschüre?«, fragte Cam schniefend.
    »Nein, das habe ich mir selbst ausgedacht.« Alicia wischte sich die Augen mit einem Papiertuch des Krankenhauses.
    »Das war gut.«
    »Danke.«
    »Danke für alles, was du für mich getan hast, Mom. Und auch dafür, dass du mich hierhergebracht hast.« Promise hatte sie zwar nicht gerettet, aber sie verstand jetzt, dass der Ort ihr ein erfüllteres Leben geschenkt hatte, als wenn sie in Orlando hundert Jahre alt geworden wäre. »Ich hab dich lieb.«
    Sie schloss die Augen und ließ ihre Tränen auf das Kissen rinnen. Ihre Mutter küsste sie auf die Stirn, dann wandte Cam den Kopf ab.
    »Cam!«
    »Ich bin noch nicht tot, Nana. Ich ruhe mich nur aus.«
    »Oh, Gott sei Dank.«
    Perry nahm Cams Hand und sagte: »Weißt du,
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