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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee
Autoren: Wendy Wunder
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gut.
    Elaine machte es glücklicherweise kurz und quälte die Hochzeitsgesellschaft nicht mit einer Predigt, sondern kam gleich zum Wesentlichen: »Kraft des mir vom Staate Maine verliehenen Amtes erkläre ich euch nun zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten.« Dann konnte das Fest beginnen. Perry und ihre Freundinnen hüpften auf dem Rasen herum, kicherten, spionierten, imitierten, posierten, spielten Erwachsene und versuchten, Drinks von der Bar zu klauen. Asher gab ihnen alkoholfreie Piña Coladas, die sie für echte hielten.
    Die Katalogmodells postierten sich hier und da wie hinreißende farbige Statuen im Tempel der wohlhabenden Jugend. Izanagi und Alicia tanzten fast die ganze Zeit, zu allem, was Perrys iPod ausspuckte. Als es Zeit wurde, den Brautstrauß zu werfen, schmetterte Alicia ihn wie eine Volleyballspielerin Elaine zu, die ihn begeistert aus der Luft schnappte, um anschließend den Rest des Abends Wange an Wange mit Smitty zu tanzen.
    Die Sonne versank hinter dem Leuchtturm. Die Orcamutter, deren Junges offenbar ausgewachsen war und sie verlassen hatte, sprang allein aus dem Meer hoch. Alle aßen und lachten und tanzten und vergaßen. Sie vergaßen Termine und Fristen und Kontostände und Colleges und Stellenbewerbungen und Scheidungen und Steuern und den ganzen Alltagskram. Alle vergaßen, bis auf Cam, die im Badezimmer im ersten Stock stand und schielend verfolgte, wie die Quecksilbersäule des Fieberthermometers über 39 Grad stieg.
    »Cam!« Asher klopfte an die Tür. »Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist schon ziemlich lange da drin.«
    »Alles okay«, flötete Cam. »Ich pudere mir nur die Nase.« Sie kramte im Medizinschränkchen nach dem Advil, fand schließlich welches und schluckte gleich vier. Der glotzäugige Muschelfrosch von South of the Border glotzte sie vorwurfsvoll an. »Reg dich ab, mir geht’s gut«, zischte sie zu ihm.
    »Hey«, sagte Asher, als sie die Tür aufmachte, »alle wollen jetzt zum Leuchtturm. Kommst du mit?«
    »Nein, aber geh du ruhig. Ich sollte hier bei meiner Mom bleiben.«
    »Äh, ich glaube nicht, dass sie dich vermissen wird.« Asher zeigte durch das Treppenfenster auf den Rasen, wo Izanagi und Alicia sich an einen Baum gelehnt küssten.
    »Widerlich«, bemerkte Cam. Es gab nichts Schlimmeres als knutschende alte Leute.
    »Ja, hm«, machte Asher. »Also, kommst du jetzt mit?«
    »Nee. Geh du mal allein. Ich bleibe hier und räume auf.«
    »Dann helfe ich dir. Oder wir machen es morgen früh.«
    »Asher.«
    »Was?«
    »Geh einfach, okay? Ich brauche ein bisschen Zeit für mich allein.«
    »Okay, Süße«, sagte er. »Das ist jetzt ein bisschen seltsam, aber okay.«
    »Gut, dann geh jetzt.«
    Als er halb die Treppe hinunter war, blieb er nochmal stehen und sah zu ihr herauf.
    »Geh!«
    »Okay.«
    Sie wartete, bis er außer Sicht war, bevor sie sich unter dem heftig stechenden Schmerz in ihrem Unterleib krümmte.

V IERUNDDREISSIG
    Nach einer unruhigen Nacht voller Träume von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis wachte Cam endlich auf. Sie sah aus dem Fenster und beobachtete ihre Mutter und ihre Großmutter, die wie Flüchtlinge die Überreste der Hochzeit durchkämmten: Bänder, verwelkte Blumen, kleine Reishäufchen, die Schmelzwasserpfütze der Eisskulptur, Teller voll halb gegessener Torte.
    Ihre Haut glühte, aber sie wusste, wenn sie an das Advil herankam, konnte sie ihr Fieber noch einen Tag lang verbergen. Sie nahm ein paar Tabletten und ging dann wieder ins Bett, um darauf zu warten, dass sie wirkten. In der einen Tasche ihrer Cargohose fand sie das kleine Pipettenfläschchen mit dem rosafarbenen Morphium, das sie seit Wochen nicht gebraucht hatte. Aus einer Scheißegalstimmung heraus träufelte sie drei Tropfen davon unter ihre Zunge. Heute werde ich in Toplaune sein , dachte sie. Wie ein psychotischer Vietnamveteran mit irrem Blick vermutlich, aber wenigstens würde sie keine Schmerzen haben. Sie war versucht, auch noch einen Zug von ihrem Inhalator zu nehmen, aber wenn die Kurzatmigkeit von den Tumoren herrührte, die auf ihr Herz und ihre Lunge drückten, würde das nicht helfen.
    »Cam, alles in Ordnung?«, rief Asher von unten.
    »Ja, komm rauf. Du sollst mir bei etwas helfen.«
    Asher erklomm die Wendeltreppe. Er trug heute Bermudashorts und ein braunes T-Shirt, das die Konturen seiner Brust erkennen ließ, ohne ordinär eng zu sein. Asher der Perfekte.
    Cam saß auf ihrer Matratze und blätterte hektisch durch den Stapel von Wunderpost, der
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