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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee
Autoren: Wendy Wunder
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seinen Weg zu ihr nach Promise gefunden hatte. Sie suchte den hellgrauen Hello-Kitty-Umschlag mit Lilys Schrift darauf, denn sie hatte das Gefühl, sie sollte ihn nun öffnen, bevor es zu spät war. Sie schüttelte die Unterlagen von Harvard aus und drehte sie um, und schließlich flatterte der Umschlag aufs Bett.
    »Ich möchte, dass du den für mich öffnest«, bat sie.
    »Hast du Angst, dich am Papier zu schneiden?«
    »Nein«, sagte Cam ein wenig gereizt. Ihr war nicht nach Scherzen zumute. »Er ist von Lily. Ich muss ihn lesen und will dabei nicht allein sein.«
    »Kein Problem. Machen wir ihn auf.« Er hockte sich hinter sie aufs Bett und umschlang sie mit seinen Beinen.
    Seufzend griff sie nach dem Umschlag.
    Er küsste sie auf die Schulter. »Bring’s hinter dich.«
    Der Umschlag ging fast von allein auf, weil die Versiegelung nach Wochen in der salzigen Seeluft angefeuchtet war. Cam zog ein gefaltetes, liniiertes Blatt Papier heraus. Es war Lilys Flamingoliste, vor über einem Jahr aus einem Spiral-block herausgerissen. Lily hatte den Rand mit schwarzen Tintezeichnungen von Flamingos verziert und neben jeden Punkt auf der Liste fein säuberliche Kästchen für Häkchen gemalt. Cam fuhr mit dem Finger über die Tinte, als würde sie Braille lesen. Sie wollte mehr von Lily spüren, wollte spüren, wie sie die Buchstaben ins Papier gedrückt hatte.
    Die meisten Vorsätze waren mit einem silbern schimmernden Gelstift abgehakt worden. Zum Beispiel:

Nach Italien fahren
Malen lernen
Fallschirmspringen – Wow , dachte Cam
Eine Broadwayshow sehen
Ein Autogramm von Bono ergattern
    Neben dem letzten Punkt stand »Anlage«. Cam schüttelte den Umschlag, woraufhin eine Kinokarte herausfiel, auf deren Rückseite ein Autogramm gekrakelt war.
    Lily hatte die leeren Kästchen mit rotem Filzstift hervorgehoben. Mit demselben Filzstift hatte sie in Großbuchstaben und zusätzlich unterstrichen geschrieben: C AMPBELL, ERLEDIGE DU DIE !!!
    Die unabgehakten Punkte waren:

Nacktbaden – Sie hat doch an einem See gewohnt , dachte Cam, das hätte ihr leichtfallen sollen
Surfen gehen
Surf & Turf essen – Das war gegrillter Hummer mit Steak, Lily hatte offenbar frei assoziiert
Einen Vulkanausbruch sehen
Mit Delfinen schwimmen
Das Taj Mahal besuchen
    Der letzte Punkt, dessen rotes Kästchen so auffallend und herzzerreißend leer war, lautete: Die große Liebe finden.
    »Scheiße«, sagte Cam, während ihr Herz auf ihrem Zwerchfell Trampolin sprang und dann einen Hechtsprung in ihren Magen machte. »Oh, Lily.«
    Asher zog seinen Zimmermannsbleistift hinter dem Ohr hervor, beugte sich über Cams Schulter und hakte den Punkt gleich mal ab.
    »Asher!«, rief Cam aus.
    »Was denn? Stimmt doch.«
    »Ich weiß, aber …« Es kam ihr vor, als würde sie Lily etwas wegnehmen, und für eine Sekunde glaubte sie, ihr Glück nicht zu verdienen.
    »Sie freut sich für dich, Cam.«
    »Ich weiß.«
    Cam schnappte sich den Bleistift und hakte den Vulkanausbruch ab, weil sie schon ein paar Mal zu Hulakursen auf Hawaii gewesen war. Surf & Turf hakte sie auch ab, weil sie fand, dass es genügte, einen Hummer gegessen zu haben. Das Taj Mahal hatte sie in Disney World gesehen, das musste reichen. Häkchen.
    »Den Rest können wir an einem Tag erledigen«, sagte Asher.
    »Im Ernst?«
    »Im Ernst.«
    Cam stand am Strand hinter dem Leuchtturm und kämpfte mit einem schwarzen Wust aus Neopren.
    Sie kam mit ihrem Anzug einfach nicht klar. Es wurde nun noch kühler in Maine, da der Sommer sich weit in den August erstreckte, weshalb Asher dankenswerterweise ein kleines Feuer am Strand gemacht hatte. Es knisterte und zischte ein bisschen und rang darum, im Seewind zu überleben.
    »Zieh ihn einfach an wie eine Strumpfhose«, rief Asher vom Ufer her, wohin er ihr riesiges Übungsbrett geschleppt hatte. »Oder zieh ihn eben nicht an. Dann kannst du gleich noch das Nacktbaden abhaken und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
    »Ich werde nicht nackt surfen, Asher.«
    »Mist«, sagte er.
    Als sie endlich den Reißverschluss des Anzugs hochgezogen hatte, musste sie sich auf Ashers Anweisung hin bäuchlings auf das Brett im Sand legen und mehrmals üben, auf die Füße zu springen. Anschließend gingen sie ins Wasser, paddelten ein Stück hinaus und trieben rittlings auf ihren Brettern sitzend nebeneinander her.
    »Das ist so eine Situation, in der Haie einen gern mit Meeresschildkröten verwechseln.«
    »Asher! Du weißt, wie sehr ich Haie hasse. Verdammt!«
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