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Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache
Autoren: Corinna Kastner
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Band befestigt war. Aus dem langen,
lasch herabhängenden Hals hingen noch längere weiße Venen- und Fleischfäden
heraus. Keine Frage: der Kopf eines männlichen Individuums.
    Â»Das ist Quatsch!«, knurrte Hansen jetzt. »Denken Sie mal logisch,
Kubsch!«
    Â»Was ist Quatsch, Chef?«, fragte ich irritiert zurück.
    Â»Das mit dem linken unversehrten Auge.«
    Wo er recht hat, hat er recht. Die Augenklappe war ein untrügliches
Zeichen dafür, dass vermutlich auch mit dem anderen Sehorgan irgendetwas nicht
stimmen konnte. Unwillkürlich fummelte ich etwas verlegen an meiner Brille
herum.
    Â»Aber davon mal abgesehen, tut das jetzt auch nichts zur Sache.«
    Mein Chef war kein Freund vieler Worte, vor allem dann nicht, wenn
die Arbeit rief. Lotte war da anders, die war stadtbekannt für ihre
plattdeutschen Weisheiten. Sie hievte drei Kisten fangfrischen Fisch, die an
der Kaimauer geduldig auf sie gewartet hatten, auf ihren Kahn.
    Â»De Jung ward nich mihr ut keen kieken können.«
    Für das Protokoll war die Bemerkung unerheblich, dennoch wollte ich
jede weitere wesentliche Aussage aus Gründen des besseren Verständnisses gleich
auf Hochdeutsch in meinen Klappblock notieren.
    Zwei Kollegen von der Spurensicherung rückten an. Mit langen
Stangen, an deren Enden in der Morgensonne Metallhaken glänzten, versuchten sie
den Kopf, der jetzt wie ein Fußball im Wasser unberechenbar herumdriftete, aus
dem Hafenbecken zu fischen.
    Â»Da stimmt was nicht!«
    Hansen beobachtete die ungeschickten Bemühungen unserer Kollegen.
    Â»Klar«, ergänzte ich selbstsicher, »da fehlt der Rest.«
    Der Rumpf schien unsauber abgetrennt, aber auch nach einem ersten
gewissenhaften Suchen war er bislang nirgends im Hafenbecken und näheren Umfeld
der Segelboote oder Fischkutter aufgefunden worden.
    Â»Das mein ich nicht«, entgegnete er kühl und fügte nach einem kurzen
Moment des Nachdenkens erklärend hinzu: »Der Kopf schwimmt oben! Das kann nicht
sein.«
    Hansen grübelte, ich auch.
    Wasserleichen waren für die Wismarer Polizei keine Seltenheit. Die
Ostsee konnte ganz schön ungemütlich werden, in einer Hafen- und Küstenregion,
in der sich Fischer, Segler und Touristen tummeln, gehörten Seeunglücke fast
schon zum traurigen Alltag. Es verging kaum ein Jahr ohne verunglückten Seemann
beziehungsweise Badegast.
    Fand man die Leiche nicht sofort, sogen sich die Lungen voll
Salzwasser, und der Tote ging nach allen Regeln der Physik kurze Zeit später
unter. Vorausgesetzt, dass er sich nicht im Seetang oder Fischernetz
verhedderte, kehrte der Körper dann nach etwa drei Tagen wieder an die Wasseroberfläche
zurück. Durch den Verwesungsprozess entstanden Fäulnisgase, die die Leiche
aufblähten und nach oben trieben.
    Aber so eine Wasserleiche schwamm nicht ewig. Nach drei bis vier
Wochen war die Haut so vollgesogen mit Flüssigkeit, dass der Leichnam fast das
Doppelte an Masse hatte, dann sank er aufgrund seines Gewichts zum letzten Mal
und endgültig auf den Grund des Meeres. Der Tote wurde langsam zu Modder und
war dann irgendwann ganz weg.
    Das Ganze funktionierte nur auf der Basis eines geschlossenen
Systems. Davon konnte man bei einem einzelnen Kopf natürlich nicht sprechen.
    Die beiden Kollegen von der Spurensicherung hatten endlich Erfolg
und balancierten den Schädel zwischen zwei Stangen von der Wasseroberfläche in
ein Auffangnetz und kippten ihn von dort kullernd auf eine schwarze
Plastikplane, die man vorausschauend an der Kaimauer ausgelegt hatte.
    Neben Lotte, der Fischbrötchenverkäuferin, versammelten sich die
ersten neugierigen Schaulustigen, die an diesem Feiertag sehr früh den Weg zum
Hafen gesucht und gefunden hatten. Nun standen sie auf ihrem morgendlichen
Spaziergang im angemessenen Abstand um einen Leichenkopf herum.
    Ich war zwar schon seit fünf Jahren bei der Polizei, davon zwei
Jahre als Kriminalassistent bei der Kripo Wismar, als sogar ein Serienmörder
monatelang in der Altstadt sein Unwesen getrieben hatte, aber so ein
Totenschädel war auch für mich ein gruseliger Anblick.
    Â»Kennt den jemand?«, fragte ich in die Runde. Die meisten glotzten
entsetzt und schüttelten nur ihren eigenen, ohne den Blick von dem
aufgedunsenen, zerfledderten Kopf abzuwenden.
    Hansen kniete jetzt auf der Plane und begutachtete den Schädel
genauer. Dazu benutzte der Kommissar einen
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