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Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache
Autoren: Corinna Kastner
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Ein hinzugeeilter besoldeter
Nachtwächter habe ihn, erhaben über jeden Zweifel, als den Beklagten aus dem
Brauereistreit ermitteln können.
    Merkmale der Wiedererkennung seien mehrerlei: das wirre lange
Haar, der wilde dunkle Bart, das dick wattierte Wams, hohe lederne
Stulpenstiefel. Und an seinem Hosenbunde habe unerlaubt ein roter Lappen
gehangen, der joli rouge des fernen Franzmanns. Der Posten habe ihn angerufen
und Zeichen gesetzt, dass fremde Flagge dicht vor dem Stadttor Gesetzesbruch
bedeuten könnte.
    Der Unhold habe darauf nur eine Handvoll Heringe genommen und sie
dem Wachmann, der allein der Einhaltung städtischer Verordnung nachgekommen
sei, mit dem bezeugten Schlachtruf »Aller Welt Feind. Und Gottes Freund!« in
den Schlund gedrückt.
    Die Menge habe unrechtmäßig gejubelt.
    Der Vorfall könne als Zeichen von Aufruhr und Brechung des ewigen
Landfriedens der langen Liste der Bosheiten von Nicolao Stortebeker anhängig
gemacht werden.
    Ungesehen – der Gesetzesbrecher habe keine Ehre, verstoße
willentlich gegen gute Sitten, sei von vorlauter Natur und einer, der der Hanse
schweren Schaden bereite. Fortan gelte er als niederträchtige Kreatur.
    Bevor der zuständige Schultheiß den Büttel habe senden können,
sei der Fliehende unter Umgehung des Wassertors nochmalig dem Zugriff über
einen Geheimgang durch den nahen Deich bis zum offenen Meer hin entkommen.
    Hermann Kroners, der wachhabende Kommandant im Rathaus, habe noch
nächtlich in einer Begehung die Länge des geheimen Tunnels mit
zweihundertzwanzig Ellen festgestellt. Seine Tore von Land- wie Meeresseite
seien auf städtische Anordnung unwiederbringlich mit frischem Torfmull
verschüttet worden.
    Der Angeklagte werde heutigentags auf der gesuchten Kogge
Likedeeler in tieferen Gewässern der Mecklenburger Bucht vermutet. Hermann
Kroners übernehme die Aufgabe, mit zwei Kanonenkoggen am morgigen Kirchtag den
gefährlichen Grobian zu stellen und ihn ohne Zögern dem Kellerverlies des
Schlosses Gottesgabe zu Schwerin zu überbringen.
    Anno Domini 1380 im Wonnemond zu Wissemara

1
    Donnerstag, den 21. Mai
    Es war morgens kurz vor halb acht, als Lotte Nannsen in den Alten
Hafen schlurfte, um ihren Kutter aufzusperren. Heute wollte sie ausnahmsweise
etwas früher Klarschiff machen, weil zu Himmelfahrt das Geschäft mit
Fischbrötchen brummte. Das lag zwar weniger am kirchlichen Feier-, als vielmehr
am gleichzeitigen Herren- oder Vatertag, aber für eine Fischverkäuferin war das
unerheblich. Der Unterschied zu sonst: Die Männer mit den Bollerwagen kamen
früh, der Rest der Familien meist erst gegen Mittag.
    Später gab sie zu Protokoll, dass sie schon aus der Ferne verwundert
gewesen sei, dass das obligatorische Willkommensgeschwader der Wismarer Seemöwen
fehlte. Die treuen Vögel saßen sonst in Reih und Glied und in aller Stille auf
dem Dach ihrer Kajüte und linsten gelassen der Lotte entgegen, um sie dann mit
einem heiseren Krächzen und einer kleinen Ehrenflugrunde in vertrauter Art zu
begrüßen.
    Heute Morgen jedoch störte ein massives, vielfach aufgeregtes,
kehliges Geschrei, begleitet von heftigstem Flügelschlagen irgendwo hinter der
Backbordwand des Fischkutters, die Ruhe des gemütlichen Hafens und der
fünfundsechzigjährigen Lotte Nannsen. Rund um ihr Boot öffnete die rüstige
Mecklenburgerin mit Schwung die schweren Regenplanen und guckte über die
Reling, wo sie den Grund für das Gezeter vermutete.
    Der Anblick war nichts für schwache Nerven. Im Brackwasser der
Ostsee dümpelte ein Kopf, der bei leichtem Seegang mit stetigem Klopfen gegen
die Außenwand des Kutters bollerte. Die Seemöwen machten sich zeternd und
balgend an ihm zu schaffen, sie hatten den Morgen über ganze Arbeit geleistet.
Die Physiognomie war grotesk zerpickt.
    Mit drei gezielten Schüssen in die Luft mussten Oberkommissar Hansen
und ich die Biester erst einmal verjagen, bevor wir uns jetzt mit Lotte Nannsen
gemeinsam über Backbord beugten und staunten. Tatsächlich, ein Menschenkopf!
    Oder das, was von ihm übrig geblieben war. Aufgedunsen und bleich,
mit mächtig zerpflückten Hautflächen. Das rechte Sehorgan fehlte komplett, ein
bisschen Glibber mit Seewasser schwappte am Grund der Augenhöhle. Das linke sah
man nicht sofort, da eine schwarze Filzklappe über ebenjenem vermutlich
unversehrten Auge mit einem elastischen
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