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Fischland Mord - Küsten-Krimi

Fischland Mord - Küsten-Krimi

Titel: Fischland Mord - Küsten-Krimi
Autoren: emons Verlag
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nächsten Tag nach Rostock bringen können, aber er hatte
sich anders entschieden. Als er weg war, hatte Jonas Kassandra gefragt, ob sie
klarkäme. Wieder hatte sie genickt und gelächelt.
    Dann war alles still gewesen, wie ausgestorben. Sie hatte sich
regelrecht erschrocken, als ihre Gäste von einem Konzert der Naturklänge auf
dem Hohen Ufer nach Hause gekommen waren. Bald kehrte die Stille zurück, aber
das Warten auf Paul und das Nachdenken über das, was in den letzten drei Wochen
geschehen war, machten sie mürbe. Sie musste etwas tun, sich ablenken. Paul.
Paul? Sie hatte immer noch nicht den Anfang von »Eiswellen« gelesen, weil dafür
nie genug Ruhe geblieben war.
    Nach einhundertfünfzig Seiten saß sie nun auf ihrer Terrasse und
starrte in den Nachthimmel. In jeder Zeile hatte sie Hardenbergs Stil
wiedererkannt – und gleichzeitig unglaublich viel von Pauls Persönlichkeit. Er
war bei ihr gewesen, ohne da zu sein.
    »Kassandra? Geht’s dir gut?«
    Wie aus einem Traum erwacht, schaute Kassandra auf.
Jonas stand auf seiner Seite des Gartenzauns.
    »Ja, danke. Du solltest schlafen, du musst doch bestimmt wieder früh
raus.«
    »Du nicht?«, fragte Jonas lächelnd.
    »Doch.« Sie lächelte zurück.
    Eine Weile schwiegen sie, bis Jonas sich räusperte. »Wenn du meinen
Rat willst – geh zu ihm. Jetzt.«
    »Nein. Er weiß, dass das bei ihm liegt.«
    Jonas schüttelte den Kopf. »Sei kein Huhn. Geh zu ihm.
Manchmal brauchen Männer einen kleinen Schubs, Paul braucht
anscheinend einen etwas größeren.« Er seufzte, als sie sich nicht rührte. »Du
musst wissen, was du tust. Gute Nacht, Kassandra.«
    Kassandra blieb noch zwei Minuten sitzen und dachte nach.
Schließlich erhob sie sich.
    Wie oft war sie in den vergangenen Nächten die Strandstraße
heruntergelaufen – sie kam ihr im Dunkeln jetzt beinah vertrauter vor als bei
Tageslicht. Trotzdem wurden ihre Schritte langsamer, je näher sie der Seebrücke
kam, vor deren Aufgang sie sich nach rechts wenden musste, wenn sie zu Paul
wollte. Vor ihr ragte die Skulptur des Swantewit auf, dahinter lag die See.
Kassandra wusste, dass sie nur hinauszögerte, was sie zu tun hatte, aber sie
stieg die Treppe zur Brücke hinauf, berührte kurz den vierköpfigen Gott – und
sah weiter hinten jemanden am Brückengeländer stehen.
    Paul drehte sich um, im Begriff, sich eine Zigarette anzuzünden und
dabei die Flamme vor dem Wind zu schützen. Er schaute hoch, sein Blick traf auf
ihren und hielt ihn fest, bevor das Feuerzeug erlosch und er die Zigarette
zurück in das Päckchen steckte. Seine Bewegungen wirkten fahrig, ruhelos.
    Langsam ging Kassandra auf ihn zu. Ihr Magen, ihr Herz, ihre
Gedanken, die ungesagten Worte schlugen Purzelbäume. Dann stand sie vor ihm –
und etwas in seinen Augen verriet ihr, dass es besser war zu schweigen.
    Paul sah sie lange an, bevor er das Schweigen brach. »Ist es nicht
erschreckend, wie schmal der Grat ist, der richtig und falsch, gut und böse
trennt?«
    »Ja«, sagte Kassandra nach einer Weile, in der sie sich gefragt
hatte, ob Paul Arnold meinte, Menning oder beide. Oder etwas ganz anderes.
»Manchmal verwischt er sogar, und niemand weiß mehr, wo gut
aufhört und böse beginnt. Es gibt viel mehr Grau als Schwarz oder
Weiß.«
    »Grau«, sagte Paul gedankenverloren, und diese eine Silbe klang wie
ein vielschichtiger Roman. Er wandte sich zur See.
    Kassandra glaubte nicht, dass er den Strand, die Dünen oder die
Wellenbrecher wahrnahm. Was hatte er vor einigen Stunden gesagt? Zu Arnold,
dass er vielleicht dasselbe getan hätte wie er. Zu Johannsen, dass er nicht nur
in die Luft geschossen hätte, wenn es nötig gewesen wäre. »Paul. Du hast den
Grat nicht überschritten.«
    Er schaute wieder zu ihr und schwieg beinah so lange wie eben. Als
er endlich etwas erwiderte, waren seine Worte so leise, dass die See sie fast
verschluckte. »Nicht dieses Mal.«
    Vorsichtig streckte Kassandra die Hand aus und berührte sein
Gesicht, darauf gefasst, dass er zurückwich, aber er ließ es geschehen. Sie
spürte seine Bartstoppeln auf der Wange, fuhr mit dem Zeigefinger über sein
Grübchen am Kinn und verharrte schließlich reglos wie er.
    Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Paul ihre Hand in seine nahm
und sanft die Innenfläche küsste. Dann sah er ihr in die Augen. »Du weißt gar
nichts über mich.«
    »Das kannst du ändern … wenn du willst.« Sie wagte ein Lächeln, ihr
Finger strich erneut über sein Kinn. »Ich wüsste zum Beispiel
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