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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser
Autoren: Sandra Lüpkes
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schwach, um mich noch gerade zu halten. Manchmal überfiel mich ein sekundenlanger Schlaf, aus dem ich sofort wieder aufschreckte, wenn das Genick von der Schwere meines Kopfes überdehnt wurde.
    Irgendwie schaffte ich es, meine Zehen nach unten zu spreizen, mich damit vom Kellerboden abzustoßen und so Stück für Stück fortzubewegen. Ich wollte mich anlehnen, nicht mehr mitten im Raum sitzen und mich vom Gewicht meines Körpers nach unten ziehen lassen. Wenn ich es bis zum Regal schaffte, dann könnte ich meinen Kopf auf ein Metallfach legen. Ich schob mich ruckartig weiter, schwitzte trotz der Kälte, hatte es aber endlich geschafft. Die glatte Regalfläche an meinen Wangen fühlte sich gut an. Ich schloss die Augen und dachtestolz, dass ich bis hierhin gekommen war. Gut, es waren nur knapp anderthalb Meter gewesen, die ich mich weitergekämpft hatte, doch ich hatte es geschafft. Vielleicht war doch noch nicht alles am Ende, vielleicht hatte ich noch genügend Kraft irgendwo versteckt, von der ich selbst gar keine Ahnung hatte. Es ging mir besser.
    Ich konnte mit den Zähnen dieses Tablett erreichen, auf dem die nächste Ration Rytephamol-B bereitlag. Ich biss mich daran fest, schleuderte meinen Kopf herum, bis es vom Regal rutschte und mit einem lauten Scheppern auf den Boden fiel. Das Geräusch machte mir Mut. Einige Tabletten kullerten bis vor meine Füße und ich zertrat sie mit meinen ungelenken Bewegungen, bis nur noch ein staubiger Pulverhaufen von ihnen übrig war. Es war ein gutes Gefühl, ich wollte mehr davon haben, es hielt mich davon ab, hilflos dem Flackern der Neonröhre ausgesetzt zu sein oder einzuschlafen, das konnte ich mir nicht erlauben. Es gab mir das Gefühl, nicht ganz die Kontrolle zu verlieren.
    Ich rückte mit dem Hocker noch näher an das Regal, wieder schwitzte ich, doch diesmal störten mich die salzigen Tropfen auf meinem Kopf kaum. Es gelang mir, den hinteren Fuß des Stuhles mit dem Regal zu verkeilen, ich stand auf den Zehenspitzen und lenkte alle Kraft in die Beine, mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem rüttelte ich an den Metallstreben. Erst passierte nichts, ich war zu schwach, ich konnte nichts ausrichten. Gerade als ich mich mutlos zurücksetzen wollte, hörte ich das feine Klirren von aneinander stoßendem Glas. Wieder riss ich mich zusammen, drückte meine gefesselten Beine gerade, spannte meinen Rücken an und stieß gegen das Regal, wieder und wieder. Eine Flasche wurde durch die Erschütterung an den Rand geschoben, ich holte tief Luft undstieß noch einmal zu, dann kippte das Glas langsam, wie in Zeitlupe, über den Rand und zerschellte am Boden.
    Ich konnte meinen Erfolg kaum fassen, trat wie von Sinnen auf den vielen gelben Pillen herum, war wütend und euphorisch zugleich, bis sich endlich mein Verstand einschaltete und ich die scharfen Scherben sah, die zwischen den Tabletten lagen. Kleine Messer, dachte ich. Okka, kleine, dunkelbraune Messer aus Glas!
    Doch wie sollte ich mit meinen zusammengebundenen Händen zum Boden gelangen?
    Es gab nur eine Möglichkeit: Ich musste mich fallen lassen. Ich musste den Hocker zum Kippen bringen und mich dann fallen lassen. Ohne irgendetwas, das mich aufhielt, würde ich auf den mit Scherben übersäten Kellerboden knallen und mir vielleicht einige Knochen brechen und Schnittwunden holen. Doch dann hätte ich meine Chance, und das war schon verdammt viel. Vor einer Viertelstunde hatte ich noch geglaubt, ich müsste verrückt werden.
    Wenn ich das Gleichgewicht verlieren wollte, dann musste ich mich mit dem Oberkörper zur einen Seite krümmen und den Fuß Stück für Stück am Regal heraufschieben. Es war nicht möglich, ich konnte mich noch so verrenken, wenn ich kurz vor dem heiklen Punkt war, rutschte der Hocker nach hinten und mein Fuß fiel schmerzhaft gegen das Stuhlbein. Vielleicht gelang es mir, wenn ich mich um hundertachtzig Grad drehte? Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich in die entgegengesetzte Richtung schaute, dann wieder das Schieben, das Dehnen, die Schmerzen in den Sehnen und die Angst vor dem Sturz.
    Es ging schnell. Und es tat verdammt weh. Als mein Kinn mit voller Wucht auf eine hochstehende Scherbe prallte und nur einen Moment später mein Arm vor Schmerz zu explodierendrohte, da lachte ich trotzdem und war stolz auf mich, denn ich bekam eine große Scherbe zu fassen, mit der ich mühsam an den Klebestreifen gelangte, mit dem ich gefesselt war.
     
    Sie überlegte während der Fahrt, ob es ihr
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